Anathema, Satellites Over Europe Tour, Substage Karlsruhe, 02/10/2014
Anathema sind eine Formation mit vielen Gesichtern und noch mehr Facetten. Als Death Doomer mit schwerem gotischen Einschlag fingen sie 1990 an, wandten sich aber Mitte der Neunziger zusehends dem Alternativ- und Progressiv-Rock zu. Konstante ihres Schaffens blieb bei allen Verwandlungen jedoch stets eine schwere Melancholie und eine bewegende Tiefgründigkeit.
Langhaarige Metalheads waren im bis unter die Decke gefüllten Karlsruher Substage kaum noch auszumachen, vielmehr war das bunt gemischte Publikum ein deutlicher Beweis für die Vielfältigkeit von Anathema. Doch bevor die Gottgeweihten – so der Bandname grob ins Deutsche übertragen – höchstselbst die Bühne illuminierten, überließen sie den drei Musikern von Mother’s Cake das Rampenlicht, um das Auditorium aufzuwärmen. Die Tiroler machten dabei sowohl eine außergewöhnliche wie gute Figur. Das Trio schüttelte eine Reihe groovender Funk-Rock-Monstersongs aus dem Ärmel, angesichts derer Rage Against The Machine oder die Red Hot Chili Peppers neidisch geworden wären. Der verdrogte und teils psychedelische Stilmix ließ so viel Spielfreude und expressive Kraft von der Bühne ins Auditorium wallen, dass sogar das meist eher passive Karlsruher Publikum beeindruckt war. Selbst eine technische Bassgitarrenpanne meisterten die drei Jungs mühelos und jammten unbeirrt weiter. Ideenreicher hätte der klangliche Prolog kaum ausfallen können.
Als jedoch bald darauf Anathema ins Scheinwerferlicht traten, war das Substage schlagartig außer Rand und Band und die sechs Musiker wurden frenetisch gefeiert – wie sich herausstellen sollte zurecht. Schon das erste Song-Duo, “The Lost Song” Teil 1 und 2, offenbarte die ganze Größe der Briten. Brauchte der lockige Frontmann Vincent Cavanagh zwar noch einige Takte, um stimmlich ganz auf der Höhe zu sein, legte seine blonde Duettpartnerin Lee Douglas vom ersten Ton an eine umwerfende Gesangsleistung hin. Gerade aber im Zusammenspiel entfesselten die beiden durch ihren eindringlichen und innigen Gesang wohlige Gänsehautstürme. Die dichten und atmosphärischen Stücke taten ihr übriges, ihre Hörer gefangen zu nehmen, mitzureißen und träumen zu lassen. Schwere Sehnsucht, schmerzlicher Kummer und erleuchtende Herzenswärme durchfluteten das Karlsruher Substage in immer wieder neuen Tonfarben. Daneben funktionierte das Sextett auch technisch wie ein präzises Uhrwerk und wurde zudem auch licht- und tontechnisch hervorragend präsentiert. Entsprechend waren die angereisten Fans durchweg euphorisch gestimmt und sichtlich bewegt. “We love you”-Schreie waren ebenso dabei wie engagierte, lautstarke Mitsinger und frenetische Mitklatscher. Warum jedoch die teils schwermütigen, zutiefst emotionalen Passagen und Umbrüche durch (im besten Falle) rhythmisches Handgeklapper begleitet und damit “zertrümmert” werden mussten, bleibt zumindest dem Verfasser dieser Zeilen ein Rätsel.
Unabhängig davon bewiesen Anathema aber alleine durch die Auswahl ihrer Songs ein feinfühliges Händchen und ließen mit ihrer Setliste tief in ihren Klangkosmos blicken. Vertreten waren vor allem die Kleinode der letzten Scheiben “Distant Satellites” “Weather Systems”, “We’re Here Because We’re Here” und “A Natural Disaster”. Aber auch die bahnbrechende “Alternative 4” war zumindest in der Zugabe mit dem grandiosen “Fragile Dreams” vertreten. Ein gelungener Abschluss für ein gelungenes Konzert, das nur hier und da in der gesamten Länge zu glatt und lieblich wirkte und vielleicht den ein oder anderen Ausbruch vermissen ließ. Aber ein Ausblick auf die doomigen und schwermetallischen Wurzeln der Briten wäre dem Publikum wohl ein wenig sauer aufgestoßen.
Peter Sailer
Setliste (ohne Gewähr):
The Lost Song Part 1
The Lost Song Part 2
Untouchable Part 1
Untouchable Part 2
Thin Air
Ariel
The Lost Song Part 3
Not Alone
The Beginning And The End
Universal
Closer
Firelight
Distant Satellites
A Natural Disaster
Fragile Dreams
Foto: Daniela Vorndran / www.black-cat-net.de
6 October 2014 Sascha Blach