Aquario – Reise ins Unterbewusstsein und zurück

Aquario – Reise ins Unterbewusstsein und zurück

Einem Tagtraum gleichend, den Fokus entrückt und ins Nichts taumelnd – so betört und verführt Aquario mit seinem Debütalbum Voyages und lädt zum Baden in Klangkaskaden und hypnotisch wogenden Traumsequenzen ein. Wer Musik zum Entspannen sucht und dabei dem Hang zur Melancholie nachgehen möchte, kommt kaum an diesem Kleinod vorbei. Mario, Sänger und Komponist in Personalunion stellt sich den Fragen.

Voyages, Dein Debütalbum gleicht einer Reise durchs Leben, mit Höhen und Tiefe und einem Beginn und einem Ende: Was hat Dich zu dieser Reise inspiriert?

Höhen und Tiefen ja, Beginn und Ende eher weniger. Das Leben selbst ist die Reise würde ich sagen. Auf „Voyages“ thematisiere ich einzelne Episoden dieser Reise, die inspiriert von bestimmten Lebenserfahrungen sowie meiner Rezeption der Welt sind. Die Songs sind ja alle sehr bildhaft benannt: „Clouds“, „River“, „Desert“, „Mountain“ usw. Ich habe mir überlegt, in welcher Form sich diese jeweiligen Natur-Szenarien im eigenen Geist widerspiegeln. Welche Erfahrungen zu welchen Zeitpunkten assoziiert man mit dem Charakter dieser Schauplätze? Ich hülle also persönliche Episoden in den ästhetischen Schleier dieser wunderschönen Naturkonzepte. Schönheit muss dabei nicht immer angenehm sein. Sie kann auch im Unbekannten, vermeintlich Erschreckenden liegen. Ich bin auch Horrorfilm-Freak! ;D

Was ist das Territorium Deiner Reise? Das Leben bis zum Tod? Eine Reise durchs Unterbewusste?

Es geht generell nicht zwingend um den Tod. Höchstens, wenn man einzelne Lyrik-Passagen persönlich derart auslegen möchte. Natürlich ist der Tod die unweigerliche Folge des Lebens, wodurch eine ganzheitliche Betrachtung des Lebens sich diesem in letzter Konsequenz nicht entziehen kann. Aber darüber mache ich mir in erster Linie derzeit eigentlich keine Gedanken. Das Nicht-Scheuen, Reisen ins Unterbewusste zu unternehmen, um damit im Bewusstsein Glaubenssätze zu erkennen, um sie wenn nötig zu überholen: das trifft es womöglich am ehesten. So gestaltet sich für mich in momentaner Auslegung der Sinn des Lebens: sich immer mehr selbst zu entdecken, zu definieren wer man ist, neues Selbstbewusstsein aus Traumata heraus zu entwickeln und den Prozess in musikalischer Form irgendwie festzuhalten — wie therapeutische Tagebucheinträge.

Wenn man Deine Musik beschreiben sollte, erinnert man sich an Wasser, Strömungen, Tiefen und Wellen. Du badest förmlich in Klang. Hat Aquario für Dich auch einen therapeutischen Aspekt? Möchtest Du auch Deinen Zuhörern diesen Ruhepol vermitteln, der ja fast autogene Züge hat?

Lustig, dass ich gerade das Wort „therapeutisch“ selbst verwendet habe, bevor ich diese Frage gelesen habe. Umso mehr freut es mich, dass der therapeutische Aspekt des Elements Wasser in meiner Musik scheinbar spürbar wird. Musik und alles, was damit einhergeht, hat generell für mich eine solche Ebene, ja. Oft verspüre ich eine starke innere Anspannung, die eine Angst in mir aufsteigen und meine Brust eng werden lässt. Dann höre ich Musik. Nicht mal bewusst. Sie spielt ja generell eine große Rolle in meinem Alltag. Und dann merke ich: hey, diese Angst ist schon viel kleiner geworden. Generell beugen sich die kleinen Alltagshürden in puncto Behördengänge, kleinere zwischenmenschliche Konflikte, etc. für mich immer mehr und mehr vor dem großen Geist der Kunst und Musik. Das Element Wasser — samt seinem fließenden, teils sanftmütigen, dann wiederum Ehrfurcht erbittenden Charakter spielt eine wichtige Rolle in der Konzeption meiner Musik. Allein mein Künstlername ist ja sehr aquatisch. Ich liebe dieses Element unheimlich und es birgt schier endlose Charaktervielfalt. So wie Wasser aus seiner eigenen Anlage heraus ambivalent ist, so ist es auch der menschliche Charakter. Ich möchte meine Hörer:innen dazu einladen, diese Ambivalenz zu akzeptieren, zu umarmen und sich stetig weiter zu entdecken.

Dein Gesang ist meistens in eine Klangwolke von Effekten zwischen Chorus, Autotune und Endloshall gebettet. Verstehst Du deinen Gesang als ein Instrument unter vielen?

Genau. Auch hier möchte ich einmal mehr das Stichwort „Fluss“ verwenden. Ich möchte, dass die Vocals zu einem Element des Gesamtarrangements werden, um den jeweiligen Song-Charakter zu untermalen. Alles soll „zusammenfließen“. Deshalb auch die meinerseits liebevolle Detailarbeit mit Backing-Vocals, Chops, Harmonien und Effekten. Das rührt vermutlich auch aus der Tatsache, dass ich neben meiner Tätigkeit als Sänger auch der Produzent meiner Musik bin und daher sehr gern mit Klang experimentiere. Kennt ihr das Album „Confessions on a Dance Floor“ von Madonna? Hier haben es die Produzenten Stuart Price und Mirwais Ahmadzai zum Beispiel ganz ähnlich gemacht und bis zur Perfektion ausgefeilt. Das hat mich derart fasziniert, dass dieser Gedanke bei der „Voyages“-Produktion immer präsent war.

Deine Bilder sprechen für einen sehr extrovertierten Stil, dabei ist Deine Musik stark in sich gekehrt. Ist das Dein Yin und Yang?

Interessanter Gedanke. Sagen wir so: die „Voyages“-Songs strahlen für dich vermutlich diesen introvertierten Charakter aus. Das muss aber nicht immer so sein. Ich selbst bin in der Bilanz wohl ein eher extrovertierter Typ. Kommt aber auch auf die Situation an. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich’s im stillen Corona-Kämmerchen daheim Stück für Stück verliere. Aber dann denke ich mir wieder: Bäm!! Ich hab Bock zu tanzen und zu Songs zu performen. Wo ist die Bühne? Wiederum habe ich eine längere Krankheitsgeschichte hinter mir, über die zu sprechen mir mal schwerer und mal leichter fällt. Ich hatte mehrere Operationen im HNO-Bereich und musste dadurch lange den richtigen Zugang zu meiner Stimme finden. Das ging auch mit einigen Verlusten und Ängsten einher, die ich bis heute aus der Zeit mitnehme. Generell begleitet mich diese Geschichte nach wie vor. Aber sie beherrscht mich im Gegensatz zu früher nicht mehr komplett. Und damit habe ich auch meine Fröhlichkeit und Extrovertiertheit zurückgewonnen, die mich als Mensch eigentlich ausmacht. Mich prägt jedoch nunmehr beides. Und das merkt man auch an meiner Musik und Performance. Ja, wie Yin und Yang.

Wenn Du mit einem Track Dein Album beschreiben wolltest. Welcher wäre das?

Ein Aquario-Track? „Home“. Von zu Hause aus beginnt eine jede Wanderung und bestenfalls kehrt man am Ende wieder dorthin zurück — vollgepackt mit neuen Erkenntnissen, mit denen man die nächste Wanderung ein Stückweit selbstbewusster antreten wird.

Was hast Du vor Aquario musikalisch gemacht?

Mit Aquario bin ich ja seit Ende 2018 aktiv. Das Projekt wurde quasi mit dem Song-Material ins Leben gerufen. Daraus wuchs die Prämisse, ein ganzheitliches Konzept zu erschaffen, bei dem Musik und visuelle Konzeption ineinandergreifen. Ich hatte den Wunsch, nicht mehr nur Songs im stillen Kämmerchen zu schreiben, sondern mehr aus mir und meiner Musik herauszuholen, da ich zum Beispiel auch viel Wert auf ästhetische Inszenierung lege. Das ist meine Arbeitsphilosophie. Mich faszinierte schon immer das Image großer Pop-Ikonen und wie sie ihre Musik-Veröffentlichungen in den Bereichen Artwork, Bühnenshow, Video und Fotografie in Szene setzen. Ich habe mich auch schon seit jeher unheimlich gern tiefer mit Alben; insbesondere mit Konzeptalben meiner Lieblingskünstler:innen beschäftigt. All das findet sich in den Facetten von Aquario wieder. Zur Musik selbst habe ich erst recht spät aus eigener Motivation heraus gefunden. Da gab es dieses Schlüsselerlebnis: Mein erster Konzertbesuch mit 15 Jahren im Jahr 2008 bei Nightwish. Das hat mich so fasziniert, dass danach klar war: So was will ich auch machen! Ich habe dann damit begonnen, mir autodidaktisch das Klavierspiel beizubringen, Gesangsunterricht zu nehmen und erste Kompositionen zu realisieren. Von 2011 bis 2016 habe ich in Leipzig Musikwissenschaft studiert. Nebenher war ich in kleineren Projekten als Sänger aktiv und habe mich mit Musikproduktion beschäftigt. Es gab und gibt da nach wie vor eine unheimlich tief sitzende Faszination für Musik und das Musikmachen in mir. Das Schöne und unheimlich Bereichernde ist, dass ich mittlerweile im Stand bin, von der Kompo über den Gesang bis zum fertigen Song alles unter meinem eigenen Dach zu haben. Natürlich gibt’s in diesem Dach auch immer ein offenes Oberlicht für Mitmusiker:innen und Produzent:innen, die Lust haben, mit mir zu neuen musikalischen Ufern aufzubrechen.
Ich bin tatsächlich auch noch als Sänger, Komponist und Texter bei der Symphonic Metal Band Glassgod aktiv. Wir haben auch gerade unser erstes Album fertig gestellt. Das ist ebenfalls ein Konzeptalbum über die Evolution geworden: von der Entstehung der Erde bis zur Menschheit. Es treffen wissenschaftliche Fakten auf philosophische Interpretationen — alles verwoben in ein schwarz-goldenes Art-Deco-Image. Moderner, djent-inspirierter Sound trifft auf viel Melodie und Orchester-Bombast. Unsere neue Single „Mankind“, die wir zusammen mit Liv Kristine aufgenommen haben, gibt’s voraussichtlich noch diesen Monat (April). Das Album folgt dann kurz darauf.

Wird es Aquario auf der Bühne geben? Wie kann man sich die Besetzung vorstellen?

Definitiv! Ich freue mich unheimlich auf das Live-Debüt und kann es kaum erwarten, den Songs auch ihre entsprechende Bühne zu geben. Zur Gesamtkonzeption gehört ja die Bühnenshow unweigerlich dazu und ehrlich gesagt ist das eine Welt, in der ich in meinem künstlerischen Dasein noch viel Erfahrung sammeln möchte, weil ich richtig Bock und Drang habe, live zu performen! Wir werden die Songs mit einer Bandbesetzung umsetzen und arbeiten entsprechend am Arrangement. Ich möchte dabei auch viele tolle Outfits tragen. Zum Glück ist meine Mum Schneiderin und ich zeichne und designe gern. Super Kombi würde ich sagen! Generell möchte ich an dieser Stelle mal ein riesiges Dankeschön an all meine Lieben aussprechen, die mich auf dem Weg begleiten und dank derer, „Voyages“ ins Leben gerufen werden konnte!

Vielen Dank für das Interview!

 

7 April 2021

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