Dr. Mark Benecke – Liebe, Tod und Teufel können mich mal
Er gehört zu den bekanntesten Kriminalbiologen und Forensikern des Landes und gilt nebenbei als ausgewiesener Fachmann für die Schwarze Szene. Wir trafen Dr. Mark Benecke in Köln, um mit ihm über seine große Liebe zur Musik, Todeskunst und die Gothic-Bewegung zu sprechen.
Mark, spielst du ein Instrument?
Mark: „Ja, Querflöte – neulich noch probiert und geht immer noch gut, obwohl mein Opa immer sagte: ‚Lerne lieber Ziehharmonika. Wenn es Krieg gibt, kannst du damit Geld verdienen, denn Musik wollen die Leute immer.’“
Deine früheste musikalische Erinnerung?
Mark: „Dass wir Kinder zu den Eltern sind und baten: ‚Macht mal bitte den Fernseher leiser’. Sie haben immer Opern gehört und uns sind die Koloraturen auf die Eier gegangen.“
Deine ersten Auftritte?
Mark: „In der Schule mit Blockflöte und Melodika, im Schulchor nicht so, weil ich die Töne nicht halten kann, es sei denn, ich singe mit jemandem mit, dann klappt das gut.“
Und dann kamen Die Blonden Burschen, eine legendäre Punktruppe …
Mark: „Ach, das war ja gar kein Punk, denn die Musik war damals ja schon cool aufgeweicht von Ärzten, Hosen usw.“
Wie entstanden Lieder wie „Holz von Ikea“?
Mark: „Wir haben früher immer gesoffen, dann habe ich die Texte aufgeschrieben, weil mein Mitsänger sie immer vergaß und das dauerhaft. Er hat dafür die Akkorde aufgeschrieben und anschließend haben wir das rekonstruiert. Das endete damit, dass wir im Bochumer Schauspielhaus als Geister der Beatles auftraten. Ich war John Lennon, aber das ging da nur nach dem Äußeren, außerdem passten mir die Sgt.-Pepper-Klamotten und der Schnurrbart am besten.“
Deine erste selbst gekaufte CD?
Mark: „Pink Floyds ‚A Momentary Lapse Of Reason’. Wir sind aber auch als Schüler ab und an zu EMI oder Electrola und die haben uns so was wie Limahl-Platten geschenkt.“
Welche Konzerte hast du damals angesehen?
Mark: „Alles Mögliche, ich habe mich ganz oft in die Kölner Sporthalle geschmuggelt. Ich war ja eher unauffällig und der Trick war, recht früh und alleine durch den Künstlereingang reinzugehen. Alleine deshalb, damit man nicht rausflog, wenn der Kollege Mist baute. So habe ich von Marillion bis Depeche Mode alles gesehen, auch Chris de Burgh.“
Stichwort Neue Deutsche Todeskunst. Deren Motto lautet: „wir holen den Tod in den Alltag und nehmen ihm dadurch den Schrecken“. Da du ganz unmittelbar mit dem Tod zu tun hast, liegt die Frage auf der Hand, wie du Gruftie wurdest.
Mark: „In meinem unmittelbaren Umfeld tauchten Grufties damals nicht auf, auch keine anderen Subkulturen wie Punks oder Hippies. Da war ein Ohrring ein Riesending. Meine Eltern haben, glaube ich, mehrere Tage nicht mit mir geredet, als ich mir einen Ohrring gemacht hatte. Dann war da der Saturn mit der größten Schallplattenshow der Welt. So haben sie geworben. Aber die Platten waren anfangs gar nicht so stark nach Genres sortiert. Das haben sie erst gemacht, als Techno aufkam. Köln war bei Techno ganz vorne dabei. In diesem Zuge wurde auch eine Ecke für Grufties eingeführt, in der es neben Goethes Erben und Laibach ganz viele Sampler gab, u. a. von Orkus und Zillo und natürlich die ‚Extreme’-Serie von Sprissi. Die habe ich mir alle gekauft und irgendwann habe ich dann alle meine Klamotten weggeschmissen. Das Gruftie-Sein kam für mich also über die Musik und nicht über die Subkultur.“
Also hat deine Profession damit gar nichts zu tun?
Mark: „Nein, dann würde man Ursache und Wirkung vertauschen.“
Heute ist aber die Klammer doch eher die Subkultur, die sich gerade in der Schwarzen Szene sehr breit entwickelt hat.
Mark: „Auf den ersten Blick lässt sich das auch kaum unterscheiden, aber inzwischen raffe ich die Unterschiede zwischen Vampyren und Therianern (fühlen sich wie Werwölfe), EBM, Hellectro und Techno. Ich sehe das inzwischen sehr deutlich, dass zu den jeweiligen Musikströmungen entsprechende Charakterstrukturen gehören. Wenn ich mich nun selber beschreibe, bin ich vielleicht etwas schizoid und introvertiert, trotzdem bin ich für begrenzte Zeit gerne unter vielen Leuten. Allerdings hat sich die Szene meiner Meinung nach bisher jeder psychologischen Studie entzogen. Sicher ist, dass man dem Tod viel Schrecken nimmt, wenn man offensiv damit umgeht, wie das in der Schwarzen Szene der Fall ist. Dazu kommt, dass die Szene es zulässt, die sozialen Regeln im positiven Sinn frei zu gestalten.“
Das war nicht immer so. Ich kann mich noch an wilde Diskussionen erinnern, ob und wer true oder untrue ist.
Mark: „Ja, dazu gibt es auch zwei tolle Southpark-Folgen. Aber ich habe die Kleingärtnerei für mich nie zugelassen. Vor einigen Jahren habe ich auf dem WGT bei einer Veranstaltung mal Knicklichter von mir verschenkt und alle wollten eines haben, obwohl sie Cybers doof fanden. Oder Bands, die sich plötzlich von irgendwas distanzieren … mir ist das egal, ich lege einfach Musik auf und gut ist. Truer wird es nicht.“
Viele Menschen leben doch in dieser Subkultur unaufdringlich ihre Fantasie.
Mark: „Genau das ist es, es gibt ganz vielschichtige Überschneidungen zwischen den schwarzen Subkulturen, 20fach dimensional sozusagen. Die heutigen schwarzen Subkulturen sind wie eine Zelle, die sich ganz oft geteilt und spezialisiert hat. Dadurch vergrößert sich die Oberfläche des schwarzen Zellhaufens und da liegen dann alle möglichen Strömungen drin, was ich aber aktiv ignoriere, da ich jede harte Zuordnung von Menschen in Gruppen ablehne.“
Hörst du Musik deiner Stimmung entsprechend oder eher umgekehrt, um deine Stimmung zu ändern?
Mark: „Ich habe irgendwann einmal alles als MP3s gespeichert. Das sind ca. 15.000 Tracks, die per Shuffle durchlaufen – permanent.“
Was bedeutet Musik für dich?
Mark: „Musik aktiviert mich, ohne kann ich z. B. nicht arbeiten, dann wird mir sofort alles zu langweilig. Die Abfolge muss zufällig sein. Ich habe zwar Playlists für Veranstaltungen, die heißen dann ‚Tanzhammer’ oder so. Aber ich lasse sie nie privat laufen, denn ich weiß ja, was drin ist. Das ist mir zu langweilig.“
Wie machst du Musik?
Mark: „Also mit Sarah Noxx habe ich gerade ‚Jeanny’ gemacht, da ist aber das Video noch nicht fertig. Beim Arrangement verlasse ich mich voll auf die anderen Musiker. Das sind Schwergewichte wie Rilinger (Eternal) und die Patenbrigadisten, die genau wissen, was sie tun – anders als ich, ich muss gar nichts können, ich höre ihnen einfach zu und mache, was mir gesagt wird.“
Was ist deine Rolle in dem Projekt?
Mark: „Ich bin der Verrückte oder Böse, wobei Frau Noxx die Gute wäre, haha. Dennoch sind wir beide in der finsteren Welt zu Hause. Ihr Verhalten kann man vorhersehen, meines nicht, ich bin der Irritierende.“
Würdest du dich als Musiker definieren?
Mark: Eher als Interpret, in dem Rahmen, den die Profis für mich abstecken. Ich lasse sie machen und an ihren 80 Millionen Knöpfen drehen. Ich bin nicht kreativ, ich liefere nur ab, um das lustige Zitat von Löw zu verwenden. Was ich bei unseren Projekten genauso geil finde, sind Bands, bei denen ich nicht verstehe, dass sie nicht viel bekannter sind und die Remixe für uns machen, z. B. Kontrast. Für mich ist ein Track immer im Entwicklungsprozess und nie abgeschlossen. Das finde ich echt spannend.
Wovon hast du absolut keine Ahnung?
Mark: „Ehrlich gesagt von Emotionen. Ich habe einige Bekannte mit Asperger, mit denen kann ich mich super unterhalten. Das ist für mich erholsam, wie ein weißer Raum mit weißem Bett und alles ist klar und rein.“
Auf welchen Moment deiner Kariere warst du am wenigsten vorbereitet?
Mark: „Ich habe keine Karriere und keinen Karriere-Plan, ich mache das, worauf ich Bock habe. Ich freue mich über die Anerkennung. Aber ich plane nicht. Es ist ja so, dass jeder das Publikum bekommt, das er verdient. Ich mag mein Publikum. Es gibt Bands, die hadern mit ihrem Publikum, aber ich habe exakt die Leute, mit denen ich Bier trinken gehen würde, wenn ich Bier trinken gehen würde.“
Welchen Musiker kann man beneiden?
Mark: „Ich kann dir eher sagen, wen ich nicht beneide, weil er eines Tages wach wird und sich fragt, warum sich sein Fanclub aufgelöst hat. Dazu kommt, dass er sich dauernd für seine Musik rechtfertigt, was soll das? Das geht doch unterm Strich niemanden etwas an. Heißt vielleicht aber auch, dass er zu seinem tiefen seelischen Motiv keinen Zugang mehr hat.“
Wann ist es Zeit aufzuhören?
Mark: „Womit denn? Jeder, der mich etwas besser kennt, weiß, irgendwann verschenke ich hier meinen ganzen Kram und ziehe in irgendein Land in irgendeine Hütte, wo ich meine Ruhe habe. Das wäre aber kein Aufhören, sondern dann mache ich das, wovon ich seit 20 Jahren erzähle.“
Sarah Thon & Johannes Thon
Bild: Annie Bertram
www.benecke.com
31 July 2014 Sascha Blach