Ensiferum – „Schmetterlinge im Bauch“
Mit ihren Landesmannen von Insomnium und Omnium Gatherum befinden sich die finnischen Folk-Death-Metaller Ensiferum derzeit auf Europa-Tournee, um ihr neues Album „One Man Army“ live vorzustellen. Die Auftaktshow fand am 11. März 2015 in der Bochumer Zeche statt. Vor der Show trafen wir Sami Hinkka, Basser und Sänger bei Ensiferum, im Biergarten der Zeche zu einem Interview. Hierbei verriet der Finne, warum er aktuell Schmetterlinge im Bauch hat, was man so auf einer Metal-Kreuzfahrt in der Karibik erlebt und wie partyfreudig die Band im Tourbus ist.
NEGAtief: Sami, wie war der gestrige Tourstart in Lingen, wo ihr eine sogenannte „Fan Appreciation Show“ gespielt habt?
Sami: Die Show war wirklich gut und es gab im Anschluss noch eine Autogrammstunde. Ein insgesamt sehr nettes Event mit gut 300 Leuten – also ziemlich intim. Normalerweise treffen wir nach unseren Shows eher selten auf die Fans, da wir erst einmal duschen und was essen wollen. Von der Bühne runter direkt zur Autogrammstunde zu laufen, war also neu für uns. Aber die Leute waren wirklich nett, machten ein paar Fotos und gaben uns Feedback. Zuvor hatten wir bereits vier Shows in Finnland absolviert, doch bezüglich des neuen Albums und der neuen Songs habe ich noch immer Schmetterlinge im Bauch. Bisher hat hier niemand von uns Routine. [lacht] Aber gerade das macht es auch spannend. Gleichzeitig stellt es eine Herausforderung bei der Zusammenstellung der Setliste dar, denn wir wollen natürlich Songs von allen Alben spielen.
NEGAtief: Wie entscheidet ihr denn, welche Songs auf die Setliste kommen? Gibt es da viel Diskussionsbedarf?
Sami: Nein, nein! Wir streiten wirklich nur selten. Wir sind eine pflegeleichte und demokratische Band.
NEGAtief: Also keine „Ein-Mann-Armee“?
Sami: [lacht] Nein, nicht im Geringsten! Normalerweise checken wir die Songs auf Tour aus, wir schauen, was wir die letzten Male gespielt haben, insbesondere in Zentraleuropa, denn das ist wie unser zweites Zuhause. Wir standen hier schon viele hunderte Male auf der Bühne, deshalb wird es wohl Leute geben, die uns bereits zuvor gesehen haben. Gestern beim Konzert war beispielsweise eine ältere Lady, die uns schon das fünfte Mal live gesehen hat. Wenn wir auf Headliner-Tour sind, wollen wir auch Songs spielen, die wir lange Zeit nicht im Set hatten, also eher rare Songs. Aber grundsätzlich ist es schwierig, denn wie gesagt wollen wir Lieder von jedem Album performen. Und wenn du dann auch noch ein neues Album zu promoten hast, sollten natürlich auch neue Songs gespielt werden. „One Man Army“ ist unser sechstes Studio-Album – aber warten wir mal ab, bis wir zehn Platten draußen haben. Dann wird es wohlmöglich noch schwieriger, die Setliste zusammenzustellen.
NEGAtief: Habt ihr schon so weit vorausgeplant?
Sami: Ja, ja! Natürlich denken wir darüber nach. Aber ich glaube, es ist noch schwieriger, Festival- oder Support-Shows zu spielen, weil man dann meist nur 45 Minuten zur Verfügung hat.
NEGAtief: Also sehr viel weniger Zeit, um das Publikum von seiner Musik zu überzeugen…
Sami: Ja, das ist wahr, insbesondere wenn man nicht an Headliner-Position steht und die Leute dich möglicherweise gar nicht kennen.
NEGAtief: Vier Shows habt ihr bereits kürzlich in Finnland absolviert, wie du sagst. Was unterscheidet denn das finnische vom deutschen Publikum?
Sami: Grundsätzlich würde ich sagen, dass unsere Fans auf der ganzen Welt sich recht ähnlich sind. Sie sind wirklich freundlich und kommen in guter Stimmung zu unseren Shows, auch wenn es dort dann oftmals aggressive Moshpits, Crowdsurfing und Wall Of Deaths gibt. Die Leute helfen sich immer wieder auf die Beine und haben einfach nur eine gute Zeit. Doch Finnland ist ein recht schwieriges Territorium für uns. Wir sind nicht wirklich beliebt, obgleich wir nun mit dem neuen Album auf Platz 1 in den Charts gelandet sind. Unglaublich – und das mit unserem Material! Mittlerweile gibt es aber Veränderungen und die neue Generation scheint schon eher von unserer Musik überzeugt. Wir werden also sehen, was geschieht. In Deutschland haben wir traditionellere Wurzeln, da wir hier schon viel öfters auf der Bühne standen. Doch insgesamt sehe ich keinen so großen Unterschied zwischen dem finnischen und deutschen Publikum. Die Finnen sind vielleicht ein wenig, naja, ich würde es nicht schüchtern nennen, aber zurückhaltender. In Deutschland – insbesondere nach ein paar Bier – werden die Fans richtig wild. Ich bin sicher, das wird ein toller Abend!
NEGAtief: Dann wiederum habt ihr kürzlich an der Karibik-Kreuzfahrt „70.000 Tons Of Metal“ teilgenommen. Welche Eindrücke konntet ihr dort sammeln?
Sami: Das ist ein unfassbares Event! Wir nahmen bereits zum dritten Mal teil und es ist jedes Mal einfach einzigartig. Es gibt keinen Backstage-Bereich oder dergleichen, so kam es vor, dass ich etwa bei unserer zweiten Teilnahme an der Bar plötzlich neben einem Musiker von Blind Guardian stand oder mit den Jungs von Amon Amarth reden konnte.
NEGAtief: Niemand kann flüchten, weil alle auf demselben Boot gefangen sind…
Sami: Eigentlich will auch niemand entkommen! Alle haben eine gute Zeit. Die Kreuzfahrt ist eine wirklich nette Erfahrung und ich würde sehr gerne einmal dort drüben Urlaub machen. Nun ja, eigentlich ist „70.000 Tons Of Metal“ ja wie Urlaub, da es vier Tage lang stattfindet und man zwei Shows spielt.
NEGAtief: Hast du das Boot auch mal für ein bisschen Sightseeing verlassen, als ihr bei Jamaica angelegt habt?
Sami: Ja, ich bin für eine Weile runter vom Schiff, aber ich fand’s ein wenig zu heiß. [lacht] Ich persönlich stehe nicht so auf Sonnenbaden.
NEGAtief: Oh, sollen wir lieber rüber in den Schatten gehen?
Sami: Nein, nein! Ich mag die Sonne. Nur +30 Grad sind nicht so mein Ding.
NEGAtief: Ab heute Abend werdet ihr zusammen mit Insomnium und Omnium Gatherum die Bühne teilen – ein recht finnisches Package. Wie hat das Line-up zusammengefunden?
Sami: Das ist eine gute Frage, denn es steckte keine Absicht dahinter, ein rein finnisches Paket zusammenzustellen. Wir sprachen mit unserem Management darüber, dass wir gerne ein starkes und interessantes Line-up hätten – drei gute Live-Bands aus etwas unterschiedlichen Genres. Dann dachten wir darüber nach, welche Supporter passen könnten. Ich kann mich nicht erinnern, wer den Namen Insomnium fallen ließ, aber jeder von uns meinte „Yeah, lasst uns die Band fragen!“. Und ebenso gut klagen Omnium Gatherum – deshalb fragen wir auch sie. Unser Part war es also, einfach nur „Ja, wir wollen diese Bands“ zu unserem Management und der Booking-Agentur zu sagen.
NEGAtief: Teilt ihr euch den Tourbus?
Sami: Ja, wir teilen uns den Tourbus zumindest mit Insomnium. Leider passen Omnium Gatherum nicht mehr mit rein. Wir sind einfach zu viele Leute. Es wäre großartig, wenn wir alle gemeinsam in einem großen Bus sitzen würden. Aber da wir glücklicherweise in Europa reisen, sind die Distanzen zwischen den Locations nicht allzu groß…
NEGAtief: Wird es die nächsten Tage viele Partys im Tourbus geben oder seid ihr keine so großen Partylöwen?
Sami: Wir werden sehen, wir werden sehen. [lacht] Das war zumindest etwas, worüber ich mir Sorgen gemacht habe, als ich realisierte, dass nur finnische Bands zusammen touren. Aber wir sind keine 18 mehr und jeder von uns ist schon einmal getourt. Wir haben einen recht engen Zeitplan mit nur einem freien Tag innerhalb von drei Wochen. Aber ich denke, wir sind alle recht professionell. Immerhin kommen die Fans und zahlen dafür, dass sie unsere Shows sehen. Niemand will also mit einem Kater auf der Bühne stehen. Dann wiederum [räuspert sich] haben wir natürlich auch professionelle Trinker unter uns – da wir Finnen sind –, doch wir kennen unsere Grenzen. Mal sehen! Dies ist erst der zweite Tag der Tour. Und für den Off-Tag suchen wir bereits nach einem Camping-Platz, wo wir ein bisschen Grillen und zehn Liter Vodka genießen können… [lacht]
NEGAtief: Wie verbringst du die Zeit während des Reisens von einer Location zur nächsten und was stellst du mit deiner freien Zeit vor Ort an? Ein bisschen Sightseeing?
Sami: Das Gute an unserer Position ist, dass wir mit einem Bus touren und somit während der Fahrt schlafen können. Außerdem versuche ich zu lesen, sitze mit den anderen zusammen und wir reden Blödsinn. Und nach den Shows gibt es Rotwein, gute Gespräche… Du musst wissen, wir haben schon seit gut zehn Jahren die gleiche Crew, deshalb ist es, wie mit der Familie auf Reisen zu sein. An den Locations würde ich gerne jeden Morgen Joggen gehen, aber natürlich besteht immer die Möglichkeit eines Katers, dann ist das Joggen natürlich keine Option. Und was das Sightseeing anbelangt: Das mache ich nicht wirklich. Normalerweise haben wir dafür keine Zeit. Ich nenne hier immer folgendes Beispiel: Wir waren schon einige Male in New York, aber die Freiheitsstatue habe ich noch nie gesehen. Noch nie! Dann wiederum habe ich schon dutzende Male das Schild in Richtung Niagara-Fälle „20 Meilen“ gesehen, aber wir hatten noch nie die Zeit, dort vorbeizuschauen. Deshalb habe ich mittlerweile die Hoffnung aufgegeben, dass ich nochmals irgendwas sehen werde. Okay, den Eifelturm habe ich schon gesehen, aber das ist alles.
NEGAtief: Auf der aktuellen Tour präsentiert ihr euer neues Album „One Man Army“. Wie gestaltet sich euer Songwriting?
Sami: Wir komponieren recht langsam. Aktuell haben wir Ideen für die Hälfte der Songs des nächsten Albums parat.
NEGAtief: Ist bei euch jeder ins Songwriting involviert?
Sami: Jeder hat die Freiheit, sich daran zu beteiligen. Wir sind eine demokratische Band und jeder darf Ideen einbringen. Und wir haben die Regel, dass alles ausprobiert wird, ganz egal, wie verrückt eine Idee ist. Doch für gewöhnlich sind es Markus [Gitarre] und ich, die Ideen hervorbringen, und Jannes Expertise gehört definitiv dem Arrangieren, wenn es darum geht, die einzelnen Songparts zusammenzusetzen. Er ist der Schlagzeuger und sieht die Dinge aus einem ganz anderen Blickwinkel als wir, die die Saiteninstrumente spielen. Doch wie gesagt gestaltet sich das Komponieren recht langsam. Wir setzen uns nicht einfach hin und sagen „Okay, lasst uns jetzt ein neues Album machen“. So funktioniert das nicht. Diesmal wollten wir uns mehr auf den Sound des Albums fokussieren. Wir wollten einmal mehr einen organischen Sound, den man auch auf dem Vorgänger hört. Ein wichtiger Aspekt war die Live-Energie, denn für mich ist Ensiferum definitiv eine Live-Band. Wenn man normalerweise im Studio ist, liegen einem zwar die Songs vor, aber die Energie fehlt irgendwie. Darüber sprachen wir mit Anssi Kippo, der unser Album aufgenommen und produziert hat.
NEGAtief: In Lappeenranta, oder?
Sami: Ja! Ich kannte ihn zuvor nicht, aber wir hatten ein Treffen und sprachen über unsere Ideen und den Sound. Er hat es sofort verstanden. Er ist einfach so enthusiastisch, was die Musik anbelangt. Wir gaben ihm fertig aufgenommene und gemixte Songs und er mischte sie nochmals neu analog ab. Dann gab er uns beide Versionen und wir hörten den Unterschied. Seine Version war einfach viel dynamischer. Er brachte die Songs auf das nächste Level!
NEGAtief: Wer schreibt denn bei euch normalerweise die Songtexte?
Sami: Das bin ich! Ich habe keine Ahnung, wie das geschehen konnte, als ich der Band beitrat. Denn zuvor hatte ich noch nie irgendwelche Lyrics geschrieben. Nun gut, ich lese viel…
NEGAtief: In den Songtexten geht es um Krieg, Gefallene und ganz viel Blut. Steckt dennoch irgendwie deine Persönlichkeit in den Texten?
Sami: Definitiv!
NEGAtief: Inwiefern?
Sami: [lacht] Über die Lyrics zu sprechen, ist eine Grauzone. Ich möchte den Hörern die Freiheit lassen, die Texte selbst zu interpretieren. Auf einer vorherigen Tour, als wir in Jena spielten, kam plötzlich eine junge Frau zu mir, während wir den Soundcheck absolvierten. Irgendwie war sie bereits in die Halle gelangt und ihr standen fast schon Tränen in den Augen. Sie sagte, dass sie eigentlich nie Metal hören würde, sie aber meine Lyrics gelesen und darin die Geschichte ihrer Familie wiedererkannt hätte. Ihre Familie stammt aus dem Iran, aber sie selbst lebt in Deutschland und studiert an der Uni. Sie hat die Songtexte also auf ihre Weise interpretiert und das bescherte mir eine Gänsehaut.
NEGAtief: Der letzte Song auf dem neuen Album fällt ein wenig aus der Reihe, was den musikalischen Stil anbelangt. Zudem ist der Song auf Finnisch und es singt eine Frau. Was ist da passiert?
Sami: Den Song singt Netta, die auf dieser Tour mit Akkordeon auf der Bühne steht [als Ersatz für Keyboarderin Emmi, die aus persönlichen Gründen nicht mittouren konnte]. Sie war einst Mitglied von Turisas. Wir hatten bereits während der Aufnahmen zum Vorgängeralbum „Unsung Heroes“ eine Rohversion jenes Songs im Kasten, aber irgendwie fehlte dem Lied noch die Seele. Mir kam dann die Idee mit dem Country/Western-Stil und wir sprachen darüber, wer den Song singen könnte. Es sollte ein echter Sänger sein. Ich kann mich allerdings nicht entsinnen, wer die Idee hatte, es könnte eine Frauenstimme sein. Dann führte eins zum anderen und es war offensichtlich, dass es Netta werden würde, denn sie hat eine wirklich gute Stimme für diese Art von Schlager.
NEGAtief: Schlager?
Sami: Ja! [lacht] Sie steckt immer voller Energie und natürlich sagte sie sofort zu. Sie spielt übrigens auch Akkordeon auf dem neuen Album.
NEGAtief: Wird sie den finnischen Song heute Abend performen?
Sami: Nein, weil es sich um einen Akustiksong handelt, wir aber aus Platzgründen keine Akustikgitarren mitbringen konnten. Wir absolvierten aber kürzlich ein paar Akustikshows in Finnland, um das neue Album zu promoten. Und das hat gut funktioniert.
NEGAtief: Habt ihr nicht auch im Levykauppa Äx [CD-Laden] in Helsinki gespielt?
Sami: Ja, in der Tat! Es war so voll, dass am Ende niemand mehr in den Laden reinpasste und einige Fans vor der Tür stehen mussten. Wir hatten eher damit gerechnet, dass nur zehn Leute kommen…
NEGAtief: Würde Ensiferum auch mit komplett finnischen Texten funktionieren?
Sami: Warum nicht? Möglich ist es, aber warten wir’s ab. Es ist wohl besser, ich verspreche nichts. [lacht]
NEGAtief: Was erwartet uns bei der heutigen Show hier in Bochum?
Sami: Alte und neue Songs und einfach eine gute Zeit. [lacht] Die Setliste funktioniert wunderbar und ich denke, sie ist sowohl für alte als auch neue Fans interessant.
NEGAtief: Habt ihr einen Schlachtruf für die Bühne?
Sami: Nein, es gibt kein Geschrei. Jeder hat seine eigene Routine. Natürlich kommen wir vor der Show zusammen, doch wir schreien nicht. Das heben wir uns für die Bühne auf! [lacht]
Interview & Fotos: Lea Sommerhäuser
www.ensiferum.com
17 March 2015 Sascha Blach