Katatonia – „Ein heftiges und furchtloses Album“
Am 20. Mai 2016 erscheint das neue Katatonia-Album „The Fall Of Hearts“. Es wurde unter den Fittichen von Sänger Jonas Renkse und Gitarrist Anders Nyström in Stockholm aufgenommen. Lediglich das Mixing und Mastering gaben die Musiker aus ihren Händen. Auf dem neuen Album wird erstmals der neue Schlagzeuger der Band, Daniel „Mojjo“ Moilanen, zu hören sein. Wir sprachen mit ihm über den Entstehungsprozess der Platte, die Herausforderungen im Studio und darüber, ob Katatonia in seinen Augen eine Metal-Band ist.
NEGAtief: Daniel, das neue Katatonia-Album „The Fall Of Hearts“ ist im Kasten, das Release-Datum steht fest und ihr habt gerade mit dem Lyric-Video zum Song „Old Heart Falls“ einen ersten Happen von der Platte präsentiert. Wie gestalten sich die bisherigen Reaktionen innerhalb eurer Familien, im Freundeskreis, aber auch vonseiten der Fans?
Daniel: Ja, „The Fall Of Hearts“ steht kurz vor der Veröffentlichung und die bisherigen Reaktionen unserer Nächsten, aber auch der übrigen Hörer sind mehr als positiv. Die wahre Feuertaufe folgt aber erst, wenn sie das Album in ihren Händen halten und alles auf einmal aufnehmen können. Es gibt jede Menge Eindrücke zu erfassen.
NEGAtief: Wie kam es zu der Idee mit der Schreibmaschine im Lyric-Video?
Daniel: Es war ziemlich früh klar, dass es kein traditionelles Video mit Schriftzügen im Vorder- und dem Albumcover im Hintergrund geben wird. „Old Heart Falls“ präsentiert die Lyrics sowie den gesamten Track in einer passenden Kulisse und Atmosphäre. Ich glaube, Anders [Gitarrist, Anm. d. Red.] hatte die finale Idee zu dessen, was wir nun sehen, und Lasse Hoile hat diese Idee wunderbar umgesetzt.
NEGAtief: Laut Sänger Jonas musste das neue Album „einfach abenteuerlicher“ werden. Was meint er damit? Was dürfen die Hörer erwarten?
Daniel: Hinter „The Fall Of Hearts“ verbirgt sich – wie auch schon bei allen vorherigen Katatonia-Alben – eine Reise, doch diesmal eine andere Art von Reise. Sie ist abenteuerlicher, was die Organik anbelangt. Dies ist wohlmöglich das progressivste Katatonia-Album, das es je gab, doch in vielerlei Hinsicht und nicht nur in Bezug auf die Synkope und Akkordabfolgen. Was können die Hörer erwarten? Ein heftiges und furchtloses Album. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, hier werden 25 Jahre Katatonia auf einem Album vereint. Es handelt sich nicht einfach nur um eine Fortsetzung von „Dead End Kings“. Einige Songs scheinen an „Discouraged Ones“ anzuknüpfen, während andere den Vibe von „The Great Cold Distance“ aufgreifen und dann gibt es Tracks, die noch weiter in die Vergangenheit zurückreichen.
NEGAtief: Wann habt ihr mit dem Songwriting fürs neue Album begonnen? War es ein Kampf oder ein Genuss, neues Material zu schreiben?
Daniel: Ich denke, der Songwriting-Prozess hatte bereits begonnen, ehe ich der Band erstmalig bei den Sommershows 2014 aushalf. Persönlich mehr involviert wurde ich gut ein Jahr vor den Aufnahmen, im Herbst 2014. Es ist immer sowohl ein Kampf als auch ein Genuss, etwas von Herzen zu kreieren – und von dort sollte es auf jeden Fall kommen.
NEGAtief: Neben dir ist auch Gitarrist Roger Öjersson relativ neu in der Band. Inwieweit ward ihr beide konkret in den Albumentstehungsprozess eingebunden?
Daniel: Ich war nicht allzu sehr involviert, machte aber Jonas und Anders klar, dass ich schlagzeugtechnisch zu allem bereit bin. Es gab eine Reihe von „Ist dies wirklich spielbar“-Diskussionen, als wir die Demo-Tracks hin- und herschickten. Und ich denke, hierin bestand meine Hauptbeteiligung im gesamten Prozess. Ich ließ sie wissen, dass ich nicht kleinbeigeben oder gar aufgeben werde.
NEGAtief: „The Fall Of Hearts“ ist bereits das zehnte Katatonia-Album – wie habt ihr es über all die Jahre geschafft, euch nicht selbst zu wiederholen?
Daniel: Wenn ich das mal aus Hörersicht beantworten darf: Das Hauptproblem von Bands, die sich innerhalb ihrer Alben wiederholen, besteht möglicherweise darin, dass sie sich in ihrem Genre und Sound gefangen fühlen. Für mich bedeutet Unveränderlichkeit nicht, dass jemand auf die gleiche Produktion oder den gleichen Stil an Riffs und Songstrukturen zurückgreift, sondern wenn es offensichtlich wird, dass das kreative Herz aufgehört hat zu schlagen. Es gibt Bands, die sich seit über 20 Jahren selbst kopieren, und doch werden sie nicht langweilig, und es gibt Bands, die sich nach nur einem Album wiederholen. Auch wenn du möglicherweise denkst, „Old Heart Falls“ klingt wie „Dead End Kings“, was sich wiederum nach „Night Is The New Day“ anhört, handelt es sich hierbei um keine Kopie. Katatonia haben nie den Punkt ihrer Karriere erreicht, an dem sie sich für das, was sie kreiert haben, entschuldigen müssten. Wenn du selbstsicher bist in dem, was du tust, liegt dir die Welt zu Füßen.
NEGAtief: Wenn du das neue Album mit dem allerersten, „Dance Of Decemer Souls“ (1993), vergleichst, worin bestehen die Hauptunterschiede? Was haben beide Alben gemeinsam?
Daniel: Und auch das kann ich nur aus Hörersicht kommentieren: „Dance Of December Souls“ war für mich als Jugendlicher ein ziemlich großes Ding damals. Sowohl musikalisch als auch textlich förderten Katatonia eine poetische Präsenz zu Tage, die sie von allem anderen abhob, was zu jener Zeit veröffentlicht wurde. Und diese Präsenz war stets bei allen Katatonia-Alben gegeben – ohne Rücksicht auf das musikalische Genre. Der Hauptunterschied zwischen Katatonia damals und heute ist meines Erachtens nach ihre gewachsene Stimmigkeit.
NEGAtief: Ist Katatonia noch immer eine Metal-Band?
Daniel: Um diese Frage ehrlich beantworten zu können, müssen wir definieren, was Metal ist. Für mich ist Metal etwa „Painkiller“ von Judas Priest. Das sind wir allerdings nicht und waren es noch nie. Wenn ich mir heute die Vergangenheit und Gegenwart von Katatonia anschaue, war die Band noch nie „Metal“. Sie war stets eine Gloomy-Rock-Band, die sich zwischen den Genres bewegt und Metal lieber „performte“ als Metal „zu sein“. Doch eine einfachere und weniger pompöse Antwort wäre natürlich „ja“: Katatonia ist immer noch eine Metal-Band – heute sogar noch mehr als früher […] und ich denke, das wird eine Menge Hörer überraschen, doch auf positive Weise.
NEGAtief: Der Titel „The Fall Of Hearts“ klingt hingegen nicht gerade positiv. Meine erste Assoziation war der Tod – insbesondere in Kombination mit dem Artwork, das eine „stürzende“ Krähe zeigt. Inwieweit geht es auf dem Album tatsächlich um den Tod?
Daniel: Meines Erachtens nach geht es sehr breitgefächert um den Tod, doch eher, wie wir mit ihm in Verbindung stehen. Der Tod, wie man ihm dicht auf den Fersen ist, und die Leere in uns und um uns herum. Auf „The Fall Of Hearts“ erwähnen Jonas und Anders textlich derart viele Verlusterfahrungen, so dass ich es im Grund nur als „Tod“ zusammenfassen kann. Der Tod ist nichts, was du nur erlebst, ehe dein Herz aufhört zu schlagen, ebenso ist Fäulnis nicht nur etwas, was mit deinem Körper nach der Beerdigung geschieht. Sie kommt auch von Innen, egal ob du danach verlangst oder nicht.
NEGAtief: Weißt du, was Jonas und Anders textlich inspiriert hat?
Daniel: Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. An dieser Stelle kann ich dir nur meine eigene Sichtweise der Songtexte darlegen und welche Inspiration mir in den Sinn kommt, wenn ich sie lese und interpretiere. Geschrieben wurden die Texte sowohl von Jonas als auch von Anders, wobei sie sich hinsichtlich Redeweise und Ausführung unterscheiden. Inhaltlich stehen die Texte jedoch miteinander in Verbindung.
NEGAtief: Welche Vorgaben habt ihr Künstler Travis Smith gemacht, ehe er mit dem Artwork anfing?
Daniel: Anders und Travis haben bei diesem Album sehr lange gemeinsam an grafischen Konzepten gewerkelt. Ich habe keinen Einblick darüber, welche spezifischen Vorgaben Travis bekam, ehe er mit dem Projekt starten konnte. Allerdings haben Anders und er stets eng zusammengearbeitet, da Anders in den grafischen Part von Katatonia genauso involviert ist wie in den musikalischen.
NEGAtief: Wie viel Zeit habt ihr im Gröndahl- und Tri-Lamb-Studio in Stockholm verbracht, um das neue Album aufzunehmen?
Daniel: Wir brauchten insgesamt zehn Tage im Gröndahl für die Drums und dann zogen wir ins Tri-Lamb um, wo wir für gut anderthalb Monate alles Übrige aufnahmen.
NEGAtief: Inwieweit habt ihr, du und Roger, eure eigene Würze zum Katatonia-Sound beigesteuert?
Daniel: Meine eigene Würze ist bei meiner Spielweise recht offensichtlich und sie kommt auf diesem Album wirklich zur Geltung. Ich habe mich nie zurückgehalten oder daran gehindert gefühlt, mich selbst „durchscheinen“ zu lassen, auch wenn ich einer Band mit bereits sehr eigenem und individuellem Sound beigetreten bin. Ich denke, dass meine Beiträge extensiver sind als die von Roger, zumal er recht spät zu den Aufnahmen hinzustieß. Nichtsdestotrotz hört man bloß Roger auf diesem Album.
NEGAtief: Und es gab Gastmusiker, habe ich gehört…?
Daniel: Da hast du richtig gehört. Wir hatten das Vergnügen mit Greg von Paradise Lost und natürlich konnten wir einmal mehr auf die Percussion-Zauberei von JP Asplund zurückgreifen.
NEGAtief: Produziert wurde das Album von Anders und Jonas. Worin bestehen die Vor- und Nachteile einer Selbstproduktion?
Daniel: Der offensichtliche Vorteil in unserem Fall ist, dass Jonas und Anders derart fokussiert an die Sache herangehen und Dinge kreieren, dass nur wenige Eingriffe von außen nötig oder nützlich sind, wenn es schließlich um die eigentliche Produktion geht. Und ich denke, diese Fokussierung lässt erst gar keine Nachteile zu. Leiden wir letztlich am Tunnelblick, wenn wir drinnen sitzen und wochenlang nur uns selbst hören? Natürlich, doch es ist unser eigener Tunnel.
NEGAtief: Was waren ernsthafte Herausforderungen während des Aufnahmeprozesses?
Daniel: Eine offensichtliche Herausforderung für mich war es generell, das erste Mal mit Katatonia im Studio zu sein. Wir haben uns zwar während der Zeit kennengelernt, als ich mit der Band Shows absolvierte, doch zusammen im Studio zu sein, ist eine andere Erfahrung. Für gewöhnlich gibt’s bezüglich verschiedener Arbeitsstile immer Kompromisse einzugehen, doch diesmal musste niemand von uns einen Kompromiss schließen.
NEGAtief: Warum habt ihr Jens Bogren und Karl Daniel Lidén dazu auserkoren, das neue Album zu mischen und zu mastern?
Daniel: Nun ja, Jens ist einer der Besten in seinem Bereich und es war während des Schreibprozesses ziemlich offensichtlich, dass wir seinen „finalen Touch“ für die Produktion haben wollen. So war das auch schon bei ein paar vorherigen Alben, deshalb kennt er die Katatonia-Kniffe und es hört sich großartig an. Mit dem Einsatz von KDL wollten wir mal etwas Neues ausprobieren. Er remasterte eines meiner schwedischen Lieblingsalben, „Kollapse“ von Breach, und er arbeitete eng mit unseren Freunden in Switchblade zusammen, somit hatten wir ein Gefühl dafür, was er zu Tisch bringen könnte, insbesondere bezogen aufs Schlagzeug. Und er hat letztlich alles auf die Tische gebracht! Von Beginn an hatte er eine gute Idee bezüglich des Drum-Sounds, was wiederum – so denke ich – auch die restliche Produktion mitgestaltet hat. Das Album ist sehr organisch, was genau das Ansinnen war, und weiterhin verbessert von KDL.
NEGAtief: Wird es demnächst eine Chance geben, „The Fall Of Hearts“ auch in einer Art „Dethroned & Uncrowned“-Version zu erleben?
Daniel: Ich würde nicht sagen, dass dies in naher Zukunft geschieht, wenn überhaupt. Persönlich denke ich, eine konzeptionell ähnliche Version von „The Fall Of Hearts“ zu kreieren, wäre eine ziemlich andere Erfahrung als „Dethroned & Uncrowned“, da „The Fall Of Hearts“ etwas komplett anderes als „Dead End Kings“ ist. Soundtechnisch befahren wir hier andere Gewässer und ich denke, viel Ambience ist bereits vorhanden. Ich wäre eher für eine „Sanctitude“-Version, doch jene Vibes sind eigentlich auch schon präsent. Doch zugleich habe ich gelernt, mit diesen Jungs nichts von vornherein auszuschließen.
NEGAtief: Seid ihr bereits auf den Festival-Sommer vorbereitet? Worauf freust du dich am meisten?
Daniel: Wir freuen uns schon sehr auf den Festival-Sommer. Mit dem neuen Line-up sowie „The Fall Of Hearts“, was vor dem Sommer veröffentlicht wird, haben wir so viel Spannendes auf Lager. Ich persönlich freue mich darauf, wieder in Rumänien zu spielen, denn das Land ist so wunderbar genauso wie sein Publikum.
NEGAtief: Gibt es auch schon Pläne für eine längere Tour?
Daniel: Die gibt es mit Sicherheit. Wer weiß, vielleicht sind sie bereits offiziell angekündigt, noch ehe dieses Interview online geht [und so ist…, Anm. d. Red.].
Interview: Lea Sommerhäuser
23 April 2016 Dark Aurora