Reckless Love – “Ich wurde vom Tod inspiriert”
Im Rahmen ihrer ersten richtigen Europa-Tournee rockte die finnische Merry-Metal-Band Reckless Love u. a. auch in Köln vor vollem Hause. Mit Frontmann und Sänger Olli Herman sprachen wir vor dem Konzert in einem indischen Restaurant über das Tourleben des Quartetts, die neue Platte „Spirit“, die Inspirationsquelle Tod und weshalb der Song „Edge Of Our Dreams“ so eine besondere Bedeutung für die Band hat.
Olli, wie läuft die Europa-Tour für euch?
Olli: Die Shows waren bisher großartig. Ich habe es nicht für möglich gehalten, aber es scheint nur gute Kritiken zu geben und überall spielten wir vor vollem Hause. Es waren zwar nicht alle Locations ausverkauft, aber zumindest verdammt voll. Für uns ist es die erste richtige Europa-Tournee, von daher kann es nicht besser laufen. Hatten wir gestern nicht Montag?
Ja, so ist es.
Olli: …und trotzdem war’s in Frankfurt brechend voll. Bisher hatten wir wirklich eine tolle Zeit und haben viel gefeiert. [lacht]
Bevorzugt ihr kleine Club-Shows oder die Performance auf großen Bühnen vor 10.000 Leuten – wie beispielsweise letztes Jahr, als ihr Kiss supportet habt?
Olli: Das kommt ganz drauf an. Grundsätzlich würde ich sagen: je größer, desto besser, aber kleine Clubs haben auch ihre Vorteile. Zum Beispiel bietet sich den Fans hier die Gelegenheit, die Bands zwischen Tourbus und Location zu treffen. Das genießen wir selbst auch sehr!
Habt ihr auf Tour auch Zeit für Sightseeing oder interessiert euch das nicht?
Olli: Ich wäre schon sehr an Sightseeing und den lokalen Highlights interessiert, aber wir müssen nun mal eine Show absolvieren, danach den Bus packen, Fotos mit den Fans machen und Autogramme geben. Dann springen wir in den Bus und versuchen auf der Fahrt zur nächsten Location ein wenig Schlaf abzubekommen. Es bleibt also keine Zeit für Sightseeing.
Ihr schlaft nicht im Hotel?
Olli: Keine Hotels. Wir touren mit einem Nightliner.
Die Veranstaltung hier in Köln wurde vom MTC ins Luxor verlegt und ihr spielt plötzlich zusammen mit der schwedischen Band H.E.A.T. Wie ist das zustande gekommen?
Olli: Das MTC ist ein bisschen zu klein. Außerdem haben wir H.E.A.T. kennengelernt, als wir eine Show in Stockholm absolvierten. Ich glaube, die Jungs hatten die Idee, unsere Shows hier in Köln zusammenzulegen. Denn wir bedienen so ziemlich das gleiche Genre und haben somit auch die gleiche Zielgruppe. Letztlich wollen wir unseren Fans die Chance geben, zwei Bands an einem Abend zu sehen, sodass sie sich nicht zwischen zwei Locations entscheiden müssen. Außerdem lief der Ticketvorverkauf fürs MTC ziemlich gut; es wäre so oder so voll geworden …
Wie bereitet ihr euch auf die Shows vor?
Olli: Einfach nur entspannen. Wenn es das siebte Konzert in Folge ist, sollte man so viel Energie wie möglich einsparen. Wie du hören kannst, ist meine Stimme bereits ein wenig angeschlagen. Zu viele hohe Schreie… [lacht]
Euer aktuelles Album „Spirit“ kam bereits letzten Sommer raus. Wo siehst du die musikalische Weiterentwicklung der Band im Vergleich zum Vorgängeralbum „Animal Attraction“?
Olli: Ich glaube, es gibt da eher einen Rückschritt und keine Weiterentwicklung. [lacht laut] Ich glaube, wir bewegen uns rückwärts. Nun, wir haben uns dazu entschlossen, ein Hair-Metal-Album zu kreieren und das ist ziemlich „old fashion“. Es gibt keine andere Band, die das aktuell macht. Eigentlich sollte man sich eher modernen Klängen widmen. Aber wir machen diesen wirklich traditionellen Hair Metal. [lacht] Deshalb sehe ich da mehr einen Rückschritt als eine Weiterentwicklung. Doch ob man will oder nicht, ich werde mit jedem Jahr älter und natürlich verändert sich auch meine Stimme – an dieser Stelle gibt es also eine Weiterentwicklung …
Was hat dich zu den Texten von „Spirit“ inspiriert?
Olli: Ich wurde vom Tod inspiriert. Alle Heavy-Metal- und Rock-Bands verwenden Totenköpfe als Symbol. Doch wir dachten, für Reckless Love sei ein Totenkopf zu düster, denn wir sind eine Merry-Metal-Band! Wie kann man also einen fröhlichen, vergnügten Totenkopf, einen „Merry-Metal-Skull“, erschaffen? Uns kamen sogleich viele Farben in den Sinn und wir erinnerten uns an den „Day Of The Dead“ der mexikanischen Kultur, an dem der Tod gefeiert wird. Also drehte ich den Spieß einfach um. Ich nahm das Wörtchen „Tod“ und versuchte es in so vielen Texten wie möglich unterzubringen – allerdings im positiven Sinne. Nehmen wir den Song „Dying To Live“, nur den Ausdruck an sich: Ich sterbe, um am leben zu bleiben. „Spirit“ ist letztlich das fröhlichste Album, das wir je erschaffen haben. [lacht] Und es heißt deshalb „Spirit“, weil es den Geist von Reckless Love einfängt. Purer Hair Metal! Wir lieben Heavy Metal! „I Love Heavy Metal“ ist übrigens einer der Kernsongs auf der Platte. Wir eröffnen jede Show mit diesem Lied – und darin taucht auch wieder der Tod auf: „I love heavy metal until the day I die…“ [zu Deutsch: „Ich liebe Heavy Metal bis zum Tag, an dem ich sterbe…“]
Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?
Darüber rede ich hier gar nicht… [lacht] Jeder sollte eine Wahlfreiheit haben. Jede Art von Religion, an die wir glauben, ist Heavy Metal, Reckless Love und Rock’n’Roll. Darüber sprechen wir hier! Reckless Loves Lebensphilosophie ist es, Spaß zu haben.
Was lässt sich eigentlich leichter schreiben: eine atmosphärische und emotionale Hymne wie „Edge Of Our Dreams“ oder ein schwerer, treibender und metallischer Song wie „Metal Ass“?
Olli: Das sind natürlich unterschiedliche Vibes, aber „Edge Of Our Dreams“ war möglicherweise einer der letzten Songs, den wir für die Platte fertiggestellt haben – und dahinter verbirgt sich kein typischer Hair-Metal-Song. Das Lied ist recht taff im Vergleich zu den übrigen vorantreibenden und simpleren Hair-Metal-Nummern. Möglicherweise war es auch deshalb schwieriger, „Edge Of Our Dreams“ zu schreiben, weil ich versucht habe, das Gefühl aller Bandmitglieder einzufangen und für jedermann zu sprechen. Dieser Song ist ein Tribut an unsere Fans. Und die Grenze bzw. der Rand, über den ich hier rede, ist der Bühnenrand – und nichts anderes. Wir leben am Rand unserer Träume, und das Publikum ist unser Traum. Ich meine, jeden Abend vor einem Livepublikum zu stehen, ist der Traum eines jeden Musikers. Die 1,5 Stunden auf der Bühne – das ist es, wonach wir streben. Das erzähle ich auch jeden Abend in meiner Songankündigung. Das Lied ist unser Dankeschön an die Fans, unser Dankeschön, dass sie zu unseren Shows kommen. Lasst uns alle einfach nur diesen Moment umarmen, am Rande unserer Träume leben, der Grenze zwischen uns – und die ist nur sehr dünn. [lacht]
Was ist denn wiederum eher anstrengend und nervenaufreibend, wenn man ein Rockmusiker ist?
Olli: Von seinen Geliebten daheim getrennt zu sein – das ist das Einzige. [grinst]
Aber deine Frau könnte dich doch auf Tour begleiten …
Olli: Ja, das könnte sie, aber sie hat einen Job und ihr eigenes Leben. Sie ist zwar meine Frau, aber nicht mein Eigentum. [lacht] Da wir gleichgestellt sind, darf sie natürlich auch ihr eigenes Leben führen. Doch selbstverständlich kann sie uns jederzeit auf Tour begleiten, auch wenn dafür nicht immer Zeit ist. Was sollte sie auf Tour auch tun? Nur herumsitzen? Sie hat Reckless Love bestimmt schon 200 Mal live gesehen, sie kennt die Songs und meine Tricks auf der Bühne. Sie ist schon von mir gelangweilt! [lacht]
Reckless Love ist eine ziemlich farbenfrohe und glitzernde Band, bei der lange Haare, Tattoos und verrückte Outfits eine große Rolle spielen. Ist dein Privatleben auch so bunt?
Olli: So ziemlich. Der einzige optische Unterschied im Vergleich zum Bühnenoutfit ist, dass ich jetzt grade weiß-graue Jeans trage und kein Elastan. [lacht]
Eure Musikvideos zu „Night On Fire“ und „So Happy I Could Die“ sind auch recht bunt. Inwiefern könnt ihr eure eigenen Ideen in die Musikvideos einbringen?
Olli: Zu 100 Prozent! Okay, „Night On Fire“ war eine Kollaboration mit dem Videoregisseur. Im Brainstorming kamen Ideen auf, das Video mit Körperbemalung an einem Strand und in einem Dschungel zu drehen. Das Videoteam kümmerte sich um die optischen Tricks und suchte nach der passenden Location. Eigentlich sprachen wir davon, das Video in der Dominikanischen Republik zu drehen, denn in der Karibik gibt es wirklich nette Strände und Dschungel. Aber das wäre ein logistischer Alptraum geworden, denn im Dschungel gibt es schließlich keine Elektrizität usw. So drehten wir das Musikvideo schlussendlich auf Gran Canaria, was vergleichsweise einfach war. [lacht] Und dort gibt es auch einen Dschungel und schöne Strände. Wir waren eine komplette Woche dort! Deshalb haben wir wohl für „Night On Fire“ das bisher größte Videobudget ausgegeben. Bei „So Happy I Could Die“ war es das komplette Gegenteil: Wir nutzten ein Minimum an Budget und die Video-Location lag keine 500 Meter von meinem Wohnort entfernt.
In Tampere?
Olli: Ja, wir drehten das Video in einem verlassenen Gebäude, das ich einst entdeckte, als ich mit einigen Punk-Kids aus der Nachbarschaft unterwegs war. Sie tranken dort und besprühten die Wände. Das Gebäude ist riesig und voll mit wunderschönen Graffitis. Es kam mir sogleich für den Videodreh in den Sinn und teilte es dem Direktor Ville Juurikkala mit, der ein recht bekannter Fotograf in Finnland ist. Er hatte dann noch die Idee mit dem Slow-Motion-Effekt und den Farben, mit denen wir im Video überschüttet werden. Beim Brainstorming war allerdings die komplette Band dabei und hatte somit auch Einfluss auf die Videoentstehung.
War es leicht, die Farben nach dem Dreh wieder aus deinen langen, blonden Haaren herauszubekommen?
Olli: Nicht wirklich. [lacht] Ich bin eine Woche lang grün herumgelaufen.
Kürzlich hast du an einer finnischen Musik-TV-Sendung teilgenommen, in der du Songs anderer Künstler eines dir fremden Genres performen musstest. Wie kam es zu dieser Teilnahme und welche Erfahrungen hast du mit nach Hause genommen?
Olli:[lacht] Aber gerade deshalb war es überraschend, dass ich im Wettbewerb soweit gekommen bin. Mir hat es gefallen, in die Schuhe anderer Künstler zu schlüpfen.
Was wirst du als erstes tun, wenn du nach der aktuellen Tour nach Hause kommst?
Olli: Es wird eine große Show mit der TV-Crew in einer Eishalle in Finnland geben. Ich habe also einen Auftritt, wenn ich zurück in der Heimat bin. Aber am 19. Mai steht mein Geburtstag an und dann werde ich mir mit meiner Frau ein Hotelzimmer nehmen und dort feiern.
Bist du generell traditionsbewusst und zelebrierst auch öffentliche Feiertage?
Olli: Ich wünschte, ich könnte es, aber wenn andere Leute frei haben, müssen wir arbeiten. Glücklicherweise ist es Musikern gestattet, während der Arbeit Alkohol zu trinken… [Gelächter]
Eine letzte Frage: Wie würdest du den Satz „Musik ist…“ vollenden?
Olli: …alles!
Interview & Foto: Lea Sommerhäuser
28 June 2014 Sascha Blach