Shiraz Lane – „Wir sind eine Familie“
Die fünf Musiker der finnischen Hard-Rock-Band Shiraz Lane haben schon viel erreicht: Sie hatten Auftritte in Japan, Kanada sowie auf zahlreichen finnischen Sommer-Festivals, darunter beispielweise das Tuska, und werden im August ihren allerersten Deutschland-Auftritt auf dem Wacken Open Air absolvieren – und das alles ohne Label-Unterstützung. Was ist das Erfolgsrezept des jungen Quintetts? Wir trafen Sänger Hannes Kett und Drummer Ana Willman, beide mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet, nach ihrem Tuska-Auftritt am 27. Juni 2015 in Helsinki und fühlten ihnen ein wenig auf den Zahn.
NEGAtief: Habt ihr euren Auftritt beim Tuska heute genossen?
Hannes: Ja, wir waren hier noch nie zuvor und ich habe hier auch noch nie Bands live gesehen. Im Grunde ist dies mein erstes Mal – ich habe also soeben meine Jungfräulichkeit verloren. [lacht]
NEGAtief: Du warst hier auch noch nie privat?
Hannes: Nein! Aber mir gefällt es hier. Das Tuska ist eines der Festivals in Finnland, das für Metal steht, deshalb ist es spaßig, hier als Hard-Rock-Band aufzutreten. Doch auch wenn wir eine Hard-Rock-Band sind, haben ein paar glatzköpfige Jungs während unserer Show die Fäuste gehoben und gegrölt – genau darum geht es.
NEGAtief: Die Band Shiraz Lane scheint immer bekannter zu werden. Ihr seid bereits in Japan und Kanada aufgetreten! Wie fühlt es sich an, plötzlich das eigene Gesicht in den Magazinen zu entdecken?
Ana: Natürlich fühlt es sich großartig an, dass die Band wächst und wir uns selbst weiterentwickeln, doch geht es für uns letztlich nur darum, gute Musik zu machen, auch wenn wir uns in Magazinen und auf den großen Festivals wiederfinden. Der Grund, warum wir Musik machen, wird sich dadurch nicht verändern. Es geht nur um die Musik an sich und es ist gut, dass wir uns als Menschen nicht verändert haben.
Hannes: Es dreht sich immer alles um die Musik. Zugleich finde ich es amüsant, mein Gesicht in Magazinen zu entdecken, weil ich dann weiß, dass auch andere Leute unsere Gesichter sehen werden und dann vielleicht damit beginnen, unsere Musik zu hören. Entweder gefällt sie ihnen oder eben nicht.
NEGAtief: Wie hat die Band zusammengefunden? Kennt ihr euch alle aus der Schule?
Hannes: Ana und ich sind Sandkastenfreunde.
Ana: Wir haben nebeneinander gewohnt und waren schon damals gute Freunde. Dann verstrichen die Jahre und wir beschlossen, eine Band zu gründen. Miki haben wir über das Internet gefunden und Jani, unser anderer Gitarrist, ging mit mir damals auf die gleiche Schule.
Hannes: Und dann vor gut einem Jahr stieß noch Joel zur Band hinzu. Zuvor hatten wir vier Jahre lang einen anderen Bassisten und danach half uns ein Freund für gut sechs Monate aus. Doch als Joel auftauchte, hatten wir das Gefühl, die Familie habe endlich zusammengefunden. Nun machen wir einfach das, was wir tun wollen: großartige Musik und Shows!
NEGAtief: Da man euch in Deutschland noch nicht kennt, wie würdet ihr euch und eure Musik beschreiben?
Hannes: Wir sind eine Hard-Rock-Band mit Botschaft. Und wir sind definitiv keine gewöhnliche Hard-Rock-Band.
NEGAtief: Das heißt?
Hannes: Einige Leute werden sicherlich ihre Zeit brauchen. Erst werden sie fragen: „Was zum Teufel ist das?“ Und dann werden sie uns entweder lieben oder hassen. Aber das ist okay für uns, denn viele Leute mögen unsere Musik. Und wenn sie einem nicht gefällt, ist das eben so.
NEGAtief: Wie entsteht ein Shiraz-Lane-Song normalerweise? Schreibt jeder von euch Songs?
Ana: Es gibt keinen Standardweg. Ich meine, es kann mit einem simplen Drumbeat beginnen und dann schließt sich einfach jemand jammend an. Und plötzlich haben wir einen guten Riff für einen Song und vervollständigen diesen gemeinsam. Es kann aber auch sein, dass alles mit einer Gesangsmelodie beginnt und wir drumherum einen Song bauen. Doch generell schreiben wir die Songs so ziemlich gemeinsam. Wir jammen sie einfach aus uns heraus und alles entwickelt sich von allein. Es gibt keinen alleinigen Komponisten. Natürlich ist Hannes dabei für die Lyrics und Gesangsmelodien verantwortlich.
Hannes: Ich sehe Musik generell als eine Leinwand fürs Jammen. Wir kreieren die Leinwände und malen dann einfach das, was wir wollen. So ist das!
Ana: Es ist schon lustig, wenn die Songs beim Jammen entstehen. Denn wenn wir einen Riff haben und ich einen bestimmten Schlagzeugrhythmus spiele, könnte es sein, dass jemand ein anderes Schlagzeugmuster vorschlägt. Dieses entwickle ich dann einfach weiter und die anderen schreiben ihren Part auch weiter. In gewisser Weise gleicht das einer Konversation, wenn wir einen Song „zusammenjammen“. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Vorgehensweise.
Hannes: Zugleich stehen wir uns sehr nahe, wir sind sozusagen „eins“. Deshalb wissen wir auch stets, was die anderen Jungs spielen werden. Das ist echt seltsam und macht mir auch manchmal Angst, weil ich z.B. genau weiß, was Jani spielen wird. Somit kann ich meinen Gesang daran anpassen…
Ana: Wir können gegenseitig unsere Gedanken lesen. [Gelächter]
NEGAtief: Es scheint, ihr seid eine demokratische Band…
Hannes: Yeah, jeder hat das Sagen. Wenn einem etwas nicht gefällt, versuchen wir alles, damit letztlich jeder zufrieden ist.
Ana: Es ist schon seltsam zu sagen, dass in unserer Band Demokratie herrscht, denn viele Bands sind der Ansicht, dass Demokratie in einer Gruppe nicht funktioniert. Wer verschiedene Ansichten teile, könne diese keinesfalls zusammenbringen. Das ist Schwachsinn! Aber da wir uns so ähnlich sind, wir fünf, gibt’s bei uns auch nicht wirklich Streit. Wir müssen kaum Kompromisse eingehen.
Hannes: Die Lösung, die wir am Ende des Tages finden, wird stets die beste für die Band sein und jeder ist zufrieden. So ist das einfach. Wenn es nur eine oder zwei Personen geben würde, die die Songs schreiben, würden diese alle gleich klingen. Das wollen wir nicht. Wir wollen anders sein. Wir sind eben nicht nur ein normaler Hard-Rock-Act.
Ana: In all unseren Songs steckt ein Stück Seele von jedem Bandmitglied.
NEGAtief: Eure erste EP heißt „Be The Slave Or Be The Change“ – das klingt nach einem politischen Statement. Was inspiriert dich beim Texten, Hannes?
Hannes: Ich lasse mich von der Welt um mich herum inspirieren. Und wenn man sich die Welt so anschaut, sieht man nur Hass, Gier und Traurigkeit – das stimmt mich dann ebenso traurig. Ich möchte, dass die Menschen verdammt nochmal aufwachen und begreifen, dass wir alles ändern können – wir müssen es nur wollen. Dann wiederum fand ich heraus, dass es auch Leute gibt, die mit der Welt, so wie sie ist, glücklich sind. Das raffe ich nicht! Aber so war es schon immer…
NEGAtief: Wir werden es nie verstehen…
Hannes: Nein, wir werden es nicht begreifen. Meine Songtexte fließen einfach aus mir heraus und manchmal verpasse ich dadurch ein wenig Schlaf. Ich bin niemand, der schlafwandelt, sondern jemand, der „im Schlaf schreibt“! Ich denke, ich schreibe anders, als es Sänger normalerweise tun – gleich dem Motto „Ich habe einen Song und ich werde nun einen Text dazu schreiben“. Da ich meine eigenen Gedanken aufschreibe, sind meine Lyrics mehr wie ein Tagebuch. Alles, worüber ich schreibe, ist also letztlich irgendwie mit mir verbunden.
NEGAtief: Es liegt dir also nie zuerst die Musik vor und du schreibst dann einen passenden Text dazu?
Hannes: Manchmal, kommt ganz drauf an. Wir sind in dieser Hinsicht etwas seltsam. Doch am Ende wird immer alles funktionieren, alles ist vorherbestimmt – siehe die Tattoos von Ana und mir. [zeigen beide ihre Hände mit demselben Tattoo-Motiv „Everything is meant to be“]
NEGAtief: Arbeitet ihr bereits an einem Debüt-Album?
Hannes: Yeah, wir schreiben Songs.
NEGAtief: Aber ihr habt noch keinen Plattenvertrag?
Hannes: Wir wissen, dass dies noch kommen wird… [lacht]
Ana: Ich denke, wir werden sehr bald etwas veröffentlichen.
Hannes: Wir können es nicht mit Gewissheit sagen, aber wir hoffen, dass es im kommenden Jahr soweit sein wird.
NEGAtief: Ihr habt bereits drei Musikvideos veröffentlicht. Ist es mehr Spaß oder mehr Arbeit solch ein Video zu kreieren?
Hannes: Jede Menge Arbeit steckt dahinter, aber zugleich macht es auch sehr viel Spaß. Natürlich ist es stressig, alles fertig zu bekommen, aber sobald man mit dem Filmen beginnt, wird es spaßig, denn wir können das tun und lassen, was wir wollen. Und Joel, unser Bassist, hat das tolle Artwork der EP entworfen und zeichnet zugleich für die Videos verantwortlich. Ferner müssen wir einem Freund bzgl. des Videos zu „Mental Slavery“ danken, der als helfende Hand dabei war. Aber das Gute ist: Wir haben eine Vision und können alles tun, was wir wollen.
Ana: Alles, was wir bisher gemacht haben – das Album-Artwork und die Musik-Videos eingeschlossen –, haben wir zu 100 Prozent selbst umgesetzt. Die Musik-Videos wurden von unserem Bassisten Joel aufgenommen, dirigiert und geschnitten.
Hannes: Als er zur Band hinzustieß, geriet der Stein ins Rollen…
Ana: Wir haben unsere eigenen Vorstellungen und hatten bisher viel Spaß, auch wenn es viel mehr Arbeit ist, alles selbst in die Hand zu nehmen. Dafür hast du aber keinen Direktor, der dir sagt, was du zu tun hast. Und ich denke, das ist einer der Gründe, warum die Musik-Videos so gut geworden sind. Ich bin jedenfalls sehr mit ihnen zufrieden – besonders mit dem neuen Video zu „Mental Slavery“.
NEGAtief: Die Videos sehen generell sehr professionell aus…
Hannes: Ja, das tun sie. Und man kann eine Entwicklung erkennen: Von „Out There Somewhere“, über „Money Talks“ bis hin zu „Mental Slavery“ werden die Videos immer besser. Außerdem werden wir ein Video zu „Behind The 8-Ball“ drehen. Wir wissen nur noch nicht wann. Ideen liegen uns schon vor, aber wir haben keine Ahnung, wann wir Zeit für die Umsetzung finden. Auch für den Song „Story To Tell“ nehmen wir derzeit Sequenzen auf.
Ana: Das „Story To Tell“-Video wird sogar vor dem „Behind The 8-Ball“-Video erscheinen – wahrscheinlich Ende August.
NEGAtief: Nach Wacken?
Ana: Ja, nach Wacken! Wir müssen auch ein bisschen unsere Live-Shows filmen. Wir möchten eine Geschichte über unser Leben erzählen und zeigen, wer wir sind: ein Haufen Hippies! [Gelächter]
NEGAtief: Euer aller erster Deutschland-Auftritt wird tatsächlich auf dem diesjährigen Wacken Open Air stattfinden. Wie fühlt sich das an?
Hannes: Als allererstes dachten wir: Ach du heilige Scheiße! Das ist, als werde ein Traum wahr! Wir sind sprachlos und wissen nicht, was uns erwartet. Wir werden einfach nur auftauchen und hart rocken.
Ana: Es ist unglaublich!
NEGAtief: Seid ihr nervös?
Hannes: Nervös? Nein, keinesfalls, nur wirklich gespannt.
Ana: Wir wissen nun seit einer Woche, dass wir auf Wacken spielen, und sind noch immer überwältigt.
NEGAtief: Ward ihr denn zuvor schon einmal privat in Deutschland?
Hannes: Ich war mal beim Oktoberfest. Mein Vater liebt Bier, deshalb zeigte er mir jenen Teil des Lebens. [lacht] Ich war damals 15 und habe kein Bier getrunken, worüber ich froh bin. Aber wir werden mit der Band dorthin zurückkehren. Wir machen alles gemeinsam. Wir sind eine Familie. Wir spielen nicht nur Gigs und proben zusammen, sondern hängen auch zusammen ab und tun alles, was uns gefällt.
NEGAtief: Im September werdet ihr mit Santa Cruz auf Finnland-Tour gehen. Wie kam das zustande?
Hannes: Wir sind mit der Band befreundet. Und ich würde sagen, dass wir eine ähnliche Fanbase besitzen. Einige ihrer Fans kennen uns und einige unsere Fans kennen Santa Cruz. Warum also nicht? Ich bin mir sicher, die Shows werden alle ausverkauft sein.
NEGAtief: Was steht noch bei euch dieses Wochenende an? Werdet ihr das Tuska-Festival genießen?
Ana: Yeah, wir wollen morgen Alice Cooper sehen…
Hannes: …und vielleicht Stratovarius…und heute will Ana In Flames sehen.
Ana: Ja, ich will mir In Flames und Amorphis anschauen.
Interview & Fotos: Lea Sommerhäuser
13 July 2015 Sascha Blach