Tüsn – Vom Punk zum Synthesizer

Tüsn – Vom Punk zum Synthesizer

Bislang waren Tüsn nur ein Mythos im Internet. Ihre Videos zu „Schwarzmarkt“ und „Zwang“ sowie ein paar Bilder waren alles, was es zu finden gab. Weitere Infos? Fehlanzeige. Anfang 2016 veröffentlicht die Berliner Band, deren deutschsprachige Musik so recht in keine Schublade passen will, ihr Debütalbum „Schuld“ – und das direkt beim Majorlabel Universal. Was hinter dem geheimnisvollen Projekt steckt, brachten wir vorab schon mal im Gespräch mit Sänger und Keyboarder Snöt in Erfahrung.

„Wir kommen alle aus der Punk-Rock- und Hardcore-Richtung und haben jahrelang in anderen Bands gespielt“, berichtet dieser im Interview. „Ich selbst war viele Jahre Gitarrist in einer Punk-Formation. Wir sind dann alle an einen Punkt gekommen, wo wir uns musikalisch noch mal neu erfinden wollten. Meine Ex-Band, in der auch unser Bassist Daniel mitspielt, hatte sich aufgelöst, und unseren Schlagzeuger kenne ich schon aus Kindheitstagen. Er ist dann nach Berlin gezogen, wodurch es nahelag, sich zusammen zu tun.“ So verzogen sich Tüsn ab 2012 für einige Jahre in den Proberaum und entwickelten abgeschottet von der Außenwelt ihren ureigenen Stil. Statt Gitarren übernahmen die Synthesizer das Zepter. „Früher hatten wir Synthesizer immer als ‚Computerkram’ abgetan, aber als wir uns dann mehr damit beschäftigt haben, wurde uns klar, dass das sehr organische Instrumente sein können“, schwärmt der Klangtüftler und lacht: „Diese alten Geräte sind wie lebende Tiere, mit denen man unheimlich viel Spaß haben kann. Natürlich spielte für unseren Sound auch eine große Rolle, dass ich mich als Sänger entdeckt habe. Wir haben lange Zeit damit zugebracht, unsere Vision und unsern eigenen neuen Sound zu entwickeln.“ Erst 2014 gingen Tüsn mit ihrer Musik an die Öffentlichkeit, um sie einem Publikum darzubieten. Als Teil einer Szene sehen sie sich indes nicht. Sie freuen sich, dass sie aus unterschiedlichsten Richtungen – ob beim WGT oder Rock im Park – gutes Feedback bekommen. Als Inspirationsquellen nennt Snöt u.a. Depeche Mode oder The Cure. Die Musik von Tüsn lässt sich als Mixtur aus New Wave, Neuer Deutscher Welle und Synthie-Pop begreifen, was der sympathische Berliner durchaus annehmen kann. „Das kann ich nachvollziehen“, sagt er, schränkt jedoch ein: „Aber die Einordnung möchte ich gerne anderen überlassen. Für mich als als jemand, der gerne seine ganz eigene Musik machen will, ist es schwer zu hören, unsere Musik sei dies oder das.“

Erinnerungen an ThyssenKrupp?

Infos über Tüsn waren im Netz bislang rar gesät. War das Absicht, um einen Mythos zu kreieren? „Das hat sich einfach daraus ergeben, dass wir uns die Zeit genommen haben, unsere Vision zu entwickeln. ‚Schöne Grüße aus dem Proberaum’ und kleine Konzerte zwischendurch haben wir weggelassen, um ohne Druck von außen unsere Musik kreieren zu können. Das fanden einige Leute wahnsinnig interessant, sodass sie nachgefragt haben. Da wir nicht die Typen sind, die ihr Essen und ihre Lebensbanalitäten auf Facebook teilen und das auch nicht ästhetisch zu unserer Kunst passt, haben wir keine Facebook-Seite gemacht. Doch es hat nicht lange gedauert, bis es die erste Fanpage gab.“ Das Image der Band prägen düstere, stilvolle Schwarzweißfotos und das sehr auffällige Logo. Doch was bedeutet der Name Tüsn eigentlich? „Er hat keine Bedeutung“, erklärt der Sänger „Wir haben nach einer gradlinigen Ästhetik gesucht, die in einfachen Blockbuchstaben funktioniert und noch nicht besetzt ist – wobei viele die Assoziation Thyssen haben und an den Stahlhersteller denken. Das ist insofern okay, als es auch ein gradliniges Gefühl vermittelt. Stahl ist ein roher Stoff, der aber auch sehr wertig ist. Daher kann ich damit leben. Aber für uns war die Optik wichtig. Wir haben auch mit einem Grafiker zusammengearbeitet, der die Idee für die Ü-Striche im Logo hatte. Das ist ein sehr starkes Symbol, finde ich.“

Teure Analogwelt

Aufgenommen wurde das Album mit den Produzenten Moritz Enders, Alexander Freund und Simon Jäger im Toolhouse-Studio in Fulda und dem Tritonus-Studio in Berlin. „Wir bestanden darauf, diese originäre Studiowelt zu haben, da wir alle Möglichkeiten nutzen wollten, die uns zur Verfügung stehen, anstatt bei einer Wohnzimmerproduktion Kompromisse zu machen“, betont Snöt. „Glücklicherweise konnten wir die finanziellen Mittel dazu generieren, um z.B. das Schlagzeug und den Bass in tollen Räumen aufzunehmen. Es war eine tolle Erfahrung und wir haben viel dabei gelernt.“ Gearbeitet wurde auch komplett mit analogen Synthesizern. Zum Einsatz kamen u.a. der Jupiter 4 und 8, sowie Korgs MS-20, der Prophet 5 und der Monopoly. Snöt berichtet weiter: „Wir wollten uns bewusst an nichts orientieren, das es schon gibt. Wir haben unsere Recordings nicht mit anderen Produktionen verglichen, sondern wollten alles so aufnehmen, wie wir es im jeweiligen Moment gut fanden. Sonst fängt man leicht an zu zweifeln, weil immer eine andere Produktion noch fetter klingt. Klar geht man dabei das Risiko ein, sich zu verirren, da man nach zehn Stunden manches nicht mehr objektiv beurteilen kann. Doch uns hat es gereicht, am nächsten Tag noch mal reinzuhören.“

„Ich glaube, dass man in unserem Gesellschaftssystem gar nicht umhin kommt, sich schuldig zu machen.“

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Schuldfragen

Die Texte greifen die persönliche Welt von Snöt auf, sind jedoch nicht als Konzept zu verstehen. „Ebenso wie die Musik durften auch die Texte gerne mal speziell und auf den ersten Blick nicht sehr griffig sein“, betont der Sänger. „Ich hoffe, Themen gefunden zu haben, die abseits dessen liegen, was man täglich im Radio hört. Wir wollten viel Interpretationsspielraum lassen, damit der Hörer jeden Song für sich begreifen kann. Das ist bei unserem gesamten Konzept sehr wichtig. Klar hat sich auch schnell eine Wortwelt herauskristallisiert, die für sich selbst funktioniert. Das ist für jeden Sänger unterschiedlich und man muss einfach ausprobieren, welche Worte man gut und authentisch singen kann.“ Dass das Thema „Schuld“ dem Album den Titel verliehen hat, liege daran, dass dies die Ebene hinter allem Tun sei – eine Art Überbegriff. „Mit allem, was man anstellt, macht man sich auf eine bestimmte Weise schuldig“, erklärt der Frontmann kritisch. „Wenn ich eine Reise um die Welt unternehme, mache ich z.B. durch die Abgase die Atmosphäre mit kaputt. Oder wenn ich Produkte erwerbe, die unter Bedingungen hergestellt wurden, die ich gar nicht vertreten kann. Ich glaube, dass man in unserem Gesellschaftssystem gar nicht umhin kommt, sich schuldig zu machen. Wenn man sich das bewusst macht, ist das schon okay. Man muss es einfach nur wissen, um sich damit auseinander setzen zu können, was man wirklich vertreten kann.“ Tüsn-Texte haben immer mehrere Ebenen, erklärt der Sänger weiter. So reiche es ihm nicht, einfach Party zu machen, sondern er will hinterfragen, was Menschen antreibt, Freitag- und Samstagnacht raus zu gehen. „Vielleicht läuft ja bei vielen Montag bis Freitag etwas schief, wenn sie so stark das Bedürfnis haben, auszubrechen“, gibt der Vokalist zu bedenken. „Vielleicht tun sie nur so glücklich? Ich versuche immer die Ebene hinter den offensichtlichen Ereignissen mit zu beleuchten.“

Bewusster Exzess

Doch gibt es auch immer eine autobiografische Ebene in den Lyrics. So haben Zeilen wie „Mach kaputt, was dich glücklich macht“ auch etwas Persönliches. „Ja, letzten Endes hat jeder Song biografische Fixpunkte, aber ich erlaube mir, etwas dazu zu geben“, überlegt der Frontmann. „‚Mach kaputt, was dich glücklich macht’ ruft dazu auf, hinter das vermeintliche Glück zu blicken. Im Buchladen gibt es zig Bücher, die den Menschen verraten wollen, wie sie ihr Glück finden. Aber das ist ziemlich kurz gedacht, denn so funktioniert das Leben nicht. Vieles ist auch nur Darstellungswahn. Auf Facebook und Instagram zeigen die Leute oft Fotos, auf denen sie die tollsten Sachen erleben. Deswegen sind sie im normalen Leben trotzdem nicht glücklicher. Daher muss man die Dinge, bei denen man sich selbst vorgaukelt, dass sie einen glücklich machen, auch mal hinterfragen, sie kaputt machen und neu zu sich selbst finden.“ Nichtsdestotrotz kann ein Song wie „Schwarzmarkt“ mit Zeilen wie „Für ein paar Zigaretten und viel Alkohol hab’ ich mir eine Nacht auf dem Schwarzmarkt geholt“ auch als Aufruf zum Exzess gesehen werden, oder? „Ja, es ist durchaus ein Aufruf. Exzess, Party und Sex sind durchaus in Ordnung. Aber trotzdem sollte man sich dessen, was man tut, bewusst sein und es nur machen, wenn es für einen wirklich okay ist.“

High Hopes

Dass Tüsn ihr Debütalbum „Schuld“ direkt über Universal Music veröffentlichen, ist eine reife Leistung. Wie kommt es? Snöt: „Bei unserem ersten richtigen Konzert war zufällig ein A&R-Manager von Universal anwesend. Ihm hat es sehr gut gefallen, sodass er Kontakt zu uns suchte. Wir haben diese Möglichkeit ergriffen und die Platte mit Hilfe dieses Partners genau so gestaltet, wie wir uns das erträumt hatten. Wir konnten unser Bandgefühl so bestmöglich auf Tonträger bringen und mussten nicht auf jeden Cent achten.“ Anfang 2016 erscheint „Schuld“ dann endlich auch offiziell im Handel, sodass die Hoffnungen im Hause Tüsn gerade sehr groß sind. „Wir werden noch ein Video im Sommer drehen und wollen ansonsten viel live spielen. Gerne wollen wir andere Bands als Support begleiten und gegen Ende des Jahres mal eine eigene Tour spielen. Wir möchte den Leuten einfach unsere Musik nahe bringen und sie erfahrbar machen.“ Und wie soll sich die Nachwelt eines Tages an Tüsn erinnern? Snöt: „Als eine Band, die mutig war, ihren eigenen Stil durchzuziehen und zu entwickeln – einen Stil mit Pathos und großen Gesten. Eine deutsche Band mit deutschen Texten, die nicht peinlich wirkt. Eine Band, die das Potenzial hat, ihre individuelle und leicht verschrobene Musik auch auf große Bühnen zu bringen. Wenn es einigen Leuten nicht gefällt, ist es auch gut. Aber ich wünsche mir, dass andere die Kunst erkennen und sie abfeiern!“

Sascha Blach
www.tuesn.de

8 August 2015

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