Whorion – „Ich bin eine große Pop-Prinzessin“

Whorion – „Ich bin eine große Pop-Prinzessin“

Die finnische Technical-Death-Metal-Band Whorion werkelt derzeit an ihrem neuen Album, dem Nachfolger von „The Reign Of The 7th Sector“ – allerdings mit einem neuen Sänger an Bord: Eero Harsunen. Denn Ari Nieminen hat die Truppe Ende letzten Jahres verlassen, um sich mehr der Schauspielerei und seiner Familie zu widmen. Im Rahmen des diesjährigen Tuska-Open-Airs in Helsinki, wo Whorion am ersten Festivaltag die Inferno Stage rockten, ergriffen wir die Gelegenheit, Gitarrist und Mastermind der Band, Ep MKN, sowie den Bassisten Dorian zu einem Interview zu bitten.

NEGAtief: Ihr habt soeben hier auf dem Tuska-Festival gespielt. Seid ihr zufrieden mit eurer Show?

Dorian: Ich glaube, es war ziemlich gut. Insgesamt waren viel mehr Leute da, als ich erwartet hattet, das ist sicher. Die Halle war gerammelt voll, das war toll.

Ep: Um ehrlich zu sein: 15 Minuten vor der Show wagte ich einen Blick in Richtung Publikum und konnte niemanden sehen und dachte nur: „Okay, so wird es dann wohl sein: Niemand möchte uns drinnen spielen sehen.“

Dorian: Außer unseren Freunden.

Ep: Doch als das Intro begann und ich meine Gitarre umhängte, war die Halle plötzlich gerammelt voll. Zumindest sah es von oben so aus. Was für eine angenehme Überraschung! Ich wünschte nur, wir hätten besser spielen können. Ich hatte Probleme mit meinem Sound. Während der ersten beiden Songs konnte ich meine Gitarre gar nicht hören. Doch der Soundtechniker hat einen guten Job geleistet und das Problem gelöst. Die Sache ist, man hat hier nur 15 Minuten zwischen zwei Bands Zeit, seinen eigenen Kram aufzubauen und alles zu kontrollieren, das Make-up aufzulegen, etc.

NEGAtief: Bemalt ihr euch selbst?

Ep: Yeah! Doch eines Tages, wenn uns mal jemand zwei Stunden am Stück spielen lässt, werden wir unsere eigene Visagistin oder einen Visagisten dabei haben. Ich wünschte, es wäre ein Typ. [Gelächter] Doch nun ja, momentan kümmern wir uns selbst drum. Wir üben das nicht, sondern haben lediglich eine Idee, wie das Make-up am Ende sein sollte. Und dann schaWhorion_Tuska_2016_1uen wir uns gegenseitig an, um zu kontrollieren, ob’s anständig aussieht. Dorian hat immer das beste Make-up, denn er ist der Kreativste von uns.

NEGAtief: Ihr habt heute neue Songs gespielt…

Ep: Ja, zwei neue Songs: den ersten und den letzten Song. Zum ersten Mal mussten wir sehr viel üben, spürten sehr viel Druck – und dennoch hat es nicht…nun ja, beim letzten Song sollte ich eigentlich beim zweiten Kanon spielen, doch ich war einfach noch nicht soweit. Ich hatte Lautstärkeprobleme. Deshalb versuchte ich einfach, cool auszusehen und die zweite Runde zu spielen.

Dorian: Doch niemand hat die Fehler gehört oder weiß, wie die neuen Songs klingen sollen, deshalb ist es egal. [lacht]

Ep: Später sprachen wir noch mit einigen Leuten in der ersten Reihe und gaben ihnen Bandzeug mit auf den Weg: Sticks und Picks. Sie sahen ziemlich glücklich aus. Während des Refrains des letzten Songs stellten sie wohl fest, dass es da eine gewisse Eingängigkeit gibt, und begannen, die Zeilen mitzugrölen. Das hat uns einen guten Antrieb gegeben und wir wissen nun, dass wir mit den neuen Songs auf dem richtigen Weg sind.

NEGAtief: Wie ist der Stand der Dinge beim neuen Album?

Ep: Es ist geschrieben. [grinst] Bereits seit einem halben Jahr, doch wir können es noch nicht spielen. Immerhin zwei Songs haben wir bereits dargeboten.

NEGAtief: Doch aufgenommen habt ihr noch nichts?

Ep: Darin liegt das Problem, denn wir nehmen mit analogem Equipment auf und man muss jeden Song von Anfang bis Ende in einem durchspielen. Und jede einzelne Note eines Songs muss ausgeführt werden.

Dorian: Das ist scheiße! [lacht]

NEGAtief: Warum habt ihr euch dann für jene Aufnahmemethode entschieden, Ep?

Dorian: Um den Rest der Band zu ärgern? Interview_Whorion_4

Ep: [grinst] Jeder möchte mit irgendetwas angeben und ich hasse es, mir Alben anzuhören, bei denen ich genau hören kann, dass der Schlagzeugsound zusammengeschnitten worden ist. Das bedeutet: Der Drummer konnte die Songs nicht von Anfang bis Ende durchspielen. Doch wie schwer ist es bitte, Mikrofone am Equipment zu befestigen und einen Song so gut wie nur irgendwie möglich zu spielen, um ihn dann auf ein Album zu packen? Warum muss man einen Song durch Samples zerstören und ihm die Dynamik entziehen? Wir wollen, dass auf unserer Platte alles live eingespielt wird, was allerdings das größte Problem darstellt. Ich hasse digitale Bands so sehr, werde an dieser Stelle aber keine Namen nennen, denn ich möchte meine Karriere noch nicht zerstören. [lacht] Doch das ist der Hauptgrund, warum wir alles mit analogem Equipment machen: Wir möchten uns selbst herausfordern. Okay, vielleicht geht’s auch um ein bisschen Angeberei, doch eigentlich wollen wir den Sound so klar und echt wie möglich präsentieren.

NEGAtief: Werdet ihr von einem professionellen Produzenten unterstützt?

Ep: Ich denke, ich bin der Arschloch-Produzent.

Dorian: Du kannst das Wort „Produzent“ weglassen, er ist nur das Arschloch. [Gelächter]

Ep: Yeah, den ersten Titel habe ich nicht, doch der Songwriting-Prozess läuft generell wie folgt ab: Ich sitze allein daheim und bin viele Tage für niemanden ansprechbar. Ich habe eine Vision, wie die Band klingen soll, und versuche genau diesen Sound zu erschaffen.

NEGAtief: Du bist also der Bandboss?

Ep: Ich möchte nicht der Chef sein, denn die anderen meckern viel.

NEGAtief: Ist die Band denn demokratisch?

Ep: Ich denke schon! Auch wenn ich – sagen wir mal – den anderen das Bier bringe und es für sie öffne – sie können auch sagen, dass sie das Bier nicht haben wollen. Um ehrlich zu sein: Ich schreibe keinen einzigen Bass-Riff. Ich bin ein Gitarrist und ich programmiere die Drums, die Orchestrierung, etc., doch den Bass rühre ich nicht an, denn wir haben einen großartigen BassWhorion_Tuska_2016_2isten, der alles über Bässe weiß. Dieser Mann! [zeigt auf Dorian] Er kann tun, was immer er auch will, so lange die Noten an den passenden Stellen sind.

NEGAtief: Und inwieweit haben die anderen Musiker zu den neuen Songs beigetragen?

Dorian: Die Hauptideen kommen von Ep, doch die Soli für den anderen Gitarristen [Antti Lauri]…nun ja, er nimmt die Sache selbst in die Hand.

Ep: Allerdings kreiert er nie was Spezielles…

Dorian: Aber er ist auch ein wirklich guter Gitarrist.

Ep: Er ist ein studierter Musiker und ein wirklich talentierter Mann. Ich bin froh, dass wir ihn an Bord haben, denn dank ihm kann ich alles machen, was ich möchte. Ich schreibe alles und gebe ihm das Recht, auch alles zu spielen, was er möchte, so lange es zur Musik passt. Die Idee hinter Technical Death Metal ist es eben, dass man sich selbst herausfordert, aber zugleich auch die Hörer.

NEGAtief: Wie oft übt ihr?

Ep: Ich spiele jeden Tag. Natürlich gibt es auch Tage, an denen man mal keine Zeit hat, doch für gewöhnlich versuche ich mindestens eine Stunde pro Tag zu üben. Diese Band ist eine einzige große Herausforderung – ich liebe es.

NEGAtief: Ihr hattet kürzlich einen Line-up-Wechsel. Sänger Ari hat Whorion Ende letzten Jahres verlassen und mit Eero habt ihr nun einen neuen Sänger gefunden. War Aris Ausstieg für euch überraschend?

Ep: Nein! [Gelächter]

Dorian: Keine Überraschung.

Ep: Wir beide [zeigt auf Dorian] sind eigentlich die einzigen noch verbliebenen Ursprungsmitglieder. Ich traf Iiro, unseren ersten Gitarristen, und er stellte mich Dorian vor. Wir drei arbeiteten anfangs zusammen, doch dann verlor Iiro seine…nun ja, eigentlich kannst du das erzählen, Dorian! Du kennst ihn besser. Er hörte letztlich mit dem Üben auf.

Dorian: Nun, er war einfach nicht so sehr interessiert. Er spielt noch immer in vielen anderen Bands, doch er hatte nicht so das Interesse, die ganze Zeit mit uns zu üben. Schien am Ende nicht wirklich seine Art von MInterview_Whorion_3etal gewesen zu sein, vermute ich.

Ep: Er ist ein leidenschaftlicher Mann und ich mag Iiro wirklich sehr, doch er wollte sich einfach nicht so sehr herausfordern. Dorian und ich waren von Anfang an in der Band und Antti kam dann, um Iiro zu ersetzen. Er ist nun fast schon zwei Jahre in der Truppe. Deshalb ist er für mich schon eher ein Originalmitglied. Und wenn wir über Ari, unseren alten Sänger sprechen: Er hat Zwillinge…

Dorian: …und er widmet sich der Schauspielerei.

Ep: Es war an der Zeit für ihn zu gehen. Ich sagte ihm: „Wenn du dich dieser Band nicht verpflichten möchtest, dann ist es nicht die Band, in der du sein sollst, denn wir brauchen dich bei den Proben. Du kommst alle halbe Jahre, das ist kein Engagement.“ Und ich sagte ihm: „Auch wenn du die Stimmte von Whorion bist, kann es so nicht weitergehen. Alle anderen stecken Tränen und Schweiß in diese Band.“ Antti kommt zum Beispiel schon immer zwei Stunden vor den Proben, um sich warmzuspielen, und Heikki kommt immer, wenn er grad nicht mit Finntroll arbeitet.

NEGAtief: Sie sind also alle intensiver mit dabei?

Ep: Genau. Aber Eero [der neue Sänger] war zunächst nicht meine erste Wahl, denn er greift auf die Gesangstechnik zurück, die Petri Lindroos von Ensiferum nutzt. Eeros alte Band, Enthrone The Unborn, klang einfach anders. Nicht mein Geschmack. Ich kenne die Jungs, das sind alles gute Kollegen, doch Eeros Sound war „trocken“. Er schickte mir eine Nachricht oder rief mich an, dass er gerne versuchen würde, Ari zu „ersetzen“. Dann kam er zu unseren Proben und steuerte ein paar Demo-Vocals bei. Ich nahm ihn auf und sagte: „Du kennst den Song, leg los!“ Er tat, wie ihm befohlen, ich hörte es mir an und meinte dann: „Nicht in einer Millionen Jahren.“ Und er fragte: „Warum?“ Und ich erwiderte: „Der Sound ist beschissen!“ Er gefiel mir wirklich absolut nicht. Doch er antwortete: „Die Leute sagten mir, dass ich ähnlich wie der Ensiferum-Sänger klinge.“ Und ich gab zurück: „Ja, doch unsere Band nennt sich Whorion. Wenn du bei Ensiferum vorsingen möchtest, geh dorthin. Wenn du bei uns vorsingen möchtest, liefere mir Growls aus den Tiefen deines Bauchs.“ Nach drei Monaten kam er zurück und er tat es!

NEGAtief: Wer zeichnet bei Whorion für die Lyrics verantwortlich?

Dorian: Ep schreibt die Songtexte und ich – als einziger Muttersprachler innerhalb der Band – schaue mir die Texte an und weise ihn dann drauf hin: „Das hier macht keinen Sinn, das dort ist kein Wort, und diese Wörter hier passen nicht zusammen.”

Ep: Es gibt sogaInterview_Whorion_5r Worte, die Dorian nicht kennt, obgleich Englisch seine Muttersprache ist. [Gelächter]

Dorian: Manchmal muss ich einfach fragen: „Was willst du mir hiermit sagen? Erkläre mir, was du mit diesen Worten meinst, und dann können wir herausfinden, was du eigentlich schreiben solltest.“

Ep: Ich glaube, das ist ein lustiger Prozess. Wenn ich ein Album in Angriff nehme, möchte ich es direkt komplett machen. Ich möchte nicht mal hier, mal da einen Song schreiben. Von „The Reign Of The 7th Sector“ hatte ich eine klare Vision, wie ein Konzept. Die Geschichte war bereits geschrieben und ich musste sie nur noch in Lyrics transferieren. Fürs nächste Album liegt mir die Story auch schon vor, sie ist geschrieben, doch ich befinde mich auf halben Wege, die Lyrics und das Riffing abzustimmen, denn Eero ist an dieser Stelle unnütz. Deshalb muss ich auch für ihn das Riffing übernehmen. Doch das macht Spaß, ich mach das gerne. Es ist, als würde man seinem eigenen Kind beim Wachsen zuschauen…

NEGAtief: Was ist deine Inspirationsquelle?

Ep: Ich liebe es, wie die Menschen glauben, dass große Titanen unter uns wandelten und ein bisschen mit den „kleinen“ Menschen „verkehrten“, Götter erschufen und diese dann töteten. Die Welt ist voller großartiger Geschichten – genug Inspiration für mich. Und ich versuche, all die alten Geschichten mit meiner Weltansicht zusammenzubringen. Ich lasse lediglich das Thema „Religion“ außen vor. Im Grunde muss man nur mal außerhalb seines Planeten, über den Tellerrand hinweg schauen. Der Wissensstand unseres Geistes lässt sich ausdehnen, doch wir sitzen einfach nur hier, trinken Bier und denken, wir seien großartig, auch wenn wir nur sieben Prozent unseres Gehirns nutzen, wenn nicht sogar weniger nach diesen Bieren. [Gelächter] Wenn es um die Musik geht, liebe ich Herausforderungen, wie bereits erwähnt. Ich möchte, dass sich die Hörer an der Musik erfreuen, und Musiker zugleich realisieren: „Oh mein Gott, was geschieht hier? Das können sie nie im Leben live spielen!“ Diese beiden Dinge müssen Hand in Hand gehen.

NEGAtief: Gibt es bereits einen Titel fürs nächste Album?

Ep: Der Arbeitstitel fürs neue Album lautet „At The Threshold Of Time“. Der wird sich noch ändern, doch ich muss Titel erst einmal niederschreiben und damit das Gefühl festhalten, in welche Richtung sich ein Album entwickeln soll. Ich kann bereits verraten, dass die Hauptszene dort stattfindet, wo der Urknall begann, doch habe ich eine andere Vorstellung davon, was geschehen ist und warum es den Urknall überhaupt gegeben hat. Das wird das nächste Kapitel von „The Reign Of The 7th Sector“.

NEGAtief: Was macht ihr eigentlich neben der Musik? Ich gehe mal davon aus, dass ihr nicht von der Musik allein leben könnt…

Dorian: Ich arbeite in einem Lagerhaus in Vantaa und fahre Gabelstapler. Ich muss auch deshalb hier arbeiten, um mein Visum zu behalten, sonst kann ich hier nicht im Land bleiben. Jeder Job ist ein Job.

Interview_Whorion_2Ep: Und ich arbeite am Flughafen. Ich manage die Finnair-Cargo-Stätte: In diesem Fall gibt es UPS, DHL, es geht ums Aufladen, Entladen…ein insgesamt seltsamer Job. Ich muss zwei Tage lang arbeiten, dann habe ich zwei Tage frei. Und auch wenn ich Arbeitstage habe, verpflichte ich mich jederzeit der Musik.

NEGAtief: Ihr trefft euch also mehrfach die Woche, um zu proben?

Dorian: Ja, dienstags und sonntags.

NEGAtief: Werdet ihr euch noch irgendwelche Bands hier auf dem Tuska-Festival anschauen?

Ep: Ich hab bereits die erste Band des Tages verpasst: Cattle Decapitation. Dann spielen noch Behemoth, aber eigentlich bin ich ein Power-Metal-Typ – wenn ich keinen Technical Death Metal oder Black Metal höre, dann höre ich mir Power Metal an. [Gelächter]

NEGAtief: Und du, Dorian?

Dorian: Ich werde an dieser Stelle schweigen.

Ep: Den einzigen Metal, den er hört, ist der Metal, den wir bei den Proben spielen.

NEGAtief: Ernsthaft? Was hörst du dir denn sonst an?

Dorian: Ich bin ein großer Pop-Musik-Fan. Ich liebe Katy Perry…mag aber auch In Flames. Doch grundsätzlich bin ich eine große Pop-Prinzessin.

Ep: Dein Musikgeschmack ist so schlimm, und dennoch lieferst du großartige Bass-Riffs ab…

Interview: Lea Sommerhäuser
Fotos: Sophie Müller / CouchPhotato & Lea Sommerhäuser / Aurora Borealis Photography

English Version

www.whorion.com

19 July 2016

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